Tuesday, July 10, 2018

Vladimir Nabokov - Nikolaj Gogol



Nabokov hat eine sehr launige "Biografie" über Nikolaj Gogol verfasst. Ich habe den Band vor über zehn Jahren gekauft und unerklärlicher Weise noch nicht gelesen. Jetzt ist es so weit. Es hat nur etwas über zehn Seiten gedauert, dann war ich wieder drinnen, im Nabokov-Rausch.


Es ist ein Rausch, den Nabokov da einen mit seiner Sprache induziert. Sofort ist man wieder angesteckt von der Lust am Spiel mit Sprache, Figuren und geheimnisvoll wandernden Bedeutungen. Ein besonders schönes Beispiel hier mal in voller Länge:
„Seine Briefe beschreiben Lübecks Sehenswürdigkeiten auf seltsamen traumartige Weise. Es ist kurios festzustellen, daß sein Bericht über die Domuhr („wenn es zwölf Uhr ist, schlägt eine große Marmorfigur da oben die Glocke zwölf mal. Die Tore oberhalb der Uhr öffnen sich mit mächtigem Geräusch; wohlgeordnet treten die Zwölf Apostel einer nach dem anderen heraus, jede Figur mannshoch; sie singen und verneigen sich, wenn sie an der Statue unseres Herrn vorbeiziehen…“) das Grundmuster eines Albtraumes bildete, den seine Mutter sechs Jahre später hatte: Mißgeschicke, die Nikolaj nach ihrer Meinung zugestoßen waren, vermischten sich mit der Vorstellung der Uhrenfiguren, und vielleicht war dieser Traum, der auf das Elend vorauszudeuten schien, das ihr Sohn während der Jahre seines religiösen Wahn durchmachen sollte, schließlich gar nicht so närrisch. Es macht mir Vergnügen, den Umrissen jener seltsamen Schatten zu folgen, die auf diesen fernen Leben lagen, und ich gäbe einiges darum, Namen und Beruf jenes anonymen Amerikaners („Bürger der amerikanischen Staaten“, wie Gogol es ausdrückte) ausfindig zu machen, der sich zusammen mit einem Schweizer Ehepaar, einem Engländer und einem Hindu (der der Mutter Gogols zu liebe in einen indischen Nabob verwandelt worden war) in einem Lübecker Gasthof zu Tisch setzte, wo ein langnasiger junger Moskauer sich in morosem Schweigen mit seinem Essen beschäftigte. Wir träumen manchmal von völlig unbedeutenden Leuten, einem zufälligen Reisegenossen oder einer ähnlich verschwommenen Person, die wir vor Jahren getroffen und dann nie wieder gesehen haben. So könnte man sich auch einen Geschäftsmann vorstellen, der sich in Boston von 1875 zur Ruhe gesetzt hat und seiner Frau gerade beiläufig erzählt, er habe vorvorigen Nacht geträumt, wie er mit einem jungen Russen oder Polen, den er in seiner Jugend einmal in Deutschland kennengelernt hatte, in einem Antiquitätengeschäft eine Uhr und einen Mantel kauft.“

Schön auch der Gedanke, dass die blinden Motive und geisterhaften „Sekundärfiguren“ im Revisor „Gogols eigentliche Domäne“ sind. Das widerspricht allen Schreibschulen. Aber es zeigt, was eigentlich schön ist: Zweckfreiheit. Dafür ist die Kunst da. Damit ist sie auch immer ganz nahe am Spiel - und damit bei der Poetik Nabokovs.

Wunderbar dann, wie er dieses Spiel in Die toten Seelen anhand von Gogols Parodien auf die Homerische ausschweifende Metapher beschreibt. Diese Bilder und Metaphern scheren so weit aus, dass der eigentliche Gegenstand ganz im Hintergrund verblasst und die Vergleiche ein viel lebendigeres Geisterleben für Sekunden auf der Hauptbühne treiben, bis sie dann plötzlich wieder verschwinden (und meist der Reigen wieder die Gegenstände erster Ordnung nach vorne bringt.)

Nabokovs Gogol erinnert einen daran, worum es beim Lesen wirklich geht. In Tiefen vorzudringen. Nicht einfach billige Lehren und „Informationen“ einsammeln. Nicht des Amüsements wegen. Sondern um selbst schöpferisch zu werden. Eine Lektüre, die nicht zum Schreiben ruft, ist nichts wert.

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