Thursday, August 28, 2014

Max Frisch - Aus dem Berliner Journal

Etwas karge Aufzeichnungen, aber der typische Max-Frisch-Sound, dem man vor zwanzig Jahren so verfallen war, ist sofort wieder da. Fast scheint er der einzige "gegenwärtige" Klassiker, den man immer mal wieder liest, so wie Kafka oder Thomas Mann. Bei Grass oder Böll kann man sich das weniger vorstellen. Dennoch sind das Nachrichten und Einblicke von eigentümlicher Vergangenheit, man liest sie als literarhistorische Zeugnisse aus einer fernen Epoche, ferner fast als die Kafkas und schon vergilbt. Frisch beschreibt da viel DDR, also ein Land, dass es seit einem viertel Jahrhundert nicht mehr gibt. Die porträtierten Autorenhelden sind fast alle bereits von der Vergessenheit angekränkelt - Andersch, Wolf, Grass, Johnson, Biermann, Kunert. Am eindringlichsten noch die Beschreibung der Schreibkrise, in der er sich zu befinden scheint und wogegen die Aufzeichnungen anschreiben. Irgendwo bringt er das ins Bild eines Hafenwächters, dessen eigentlichen Aufgaben obsolet geworden sind und der sich jetzt die Zeit vertreibt, indem das Ein- und Ausfahren der Schiffe notiert. Nett übrigens die Idee der Hörbuch-Macher, die Abschnitte durch das Klicken einer Schreibmaschinentype zu synkopieren.

Saturday, August 23, 2014

Werner Kappacher - Selina oder das andere Leben

Lehrer aus Salzburg, in der Mitte seines Lebens, erhält die Gelegenheit, ein Sabbatjahr in einem toskanischen Landhaus zu verbringen. Einzige Bedingung ist, dass er es herrichtet. Die Erzählung beginnt dann als eine Art Robinsonade, erzählt wird, wie er sich einrichtet, das Überlebenswichtige heranschafft, das Haus zugänglich und bewohnbar macht, die Fledermäuse, Ameisen und Schlangen fernhält etc. Mit den Einwohnern steht er in freundschaftlichen Kontakt, ein Mal schläft er sogar mit einer von ihnen. Außerdem gibt es da noch die philosophische Freundschaft mit dem Hausbesitzer, einem alten Deutschen und Gelehrten, der aber schon sterbenskrank ist. Der Stil ist klassisch-schlicht, ohne modisch-lakonisch zu werden, manchmal streift er das Elegische. Seltsam nur, dass der Erzähler nicht dazu gelangt, das eigentliche Versprechen des Romans einzulösen, nämlich die Liebe zu Selina, der Nichte und Erbin des Hausbesitzers. Als sie das Geschehen betritt, klingt der Roman ganz schnell aus, ohne dass sich das titelgebende Thema in irgendeiner Form entfaltet hat. Vermutlich ist es Absicht, denn tatsächlich vermisst man sie nicht bzw. spürt ihre Anwesenheit von Anfang an und diese uneingelöste Verheißung, von der man gar nicht richtig erzählen kann, gibt allem noch eine schöne Hintergrundmelodie. Hat sich insgesamt sehr gelohnt.


Wednesday, August 20, 2014

W. G. Sebald - Die Ringe des Saturn

Reisebeschreibung einer Wanderung durch Suffolk mit assoziativen Abschweifungen zu allen möglichen Themen wie die Seidenspinnerei, Bäume, Chateaubriand, chinesische Dynastien, die Naturgeschichte des Herings, Conrad, Sklavenwirtschaft, die Macht versunkener Städte, Zucker, geheime Vernichtungswaffen und vieles mehr. Verblüffend: Schon mit dem ersten Satz stellt sich der unverwechselbare Sebald-Ton ein und trägt einen in sanften, schön geschwungenen Wellen durch diese dunkelschöne Landschaften.

Colson Whitehead - Apex

Werbetexter - eigentlich Berater für Namensgebungen - soll Kleinstadt bei Umbenennung beraten. Zur Auswahl stehen drei Namen, die je unterschiedliche Epochen der Stadt widerspiegeln. Die Interessensvertreter buhlen um seine Fürsprache. Parallel dazu wird in Rückblicken die Geschichte des Beraters erzählt, sein Aufstieg und seine Krise. Das Thema Bedeutung der Namen wird witzig, melancholisch und sehr geistreich bis in die Verästelungen dieser schlanken Erzählung durchgeführt.


Reinhard Kaiser-Mühlecker - Der lange Gang über die Stationen

Österreich, 50er Jahre, junger Landwirt heiratet Frau aus der Stadt und macht sich daran, sein Land zu bestellen, versäumt dabei den Anschluss an den technischen Fortschritt, verschuldet sich, verliert auch die Liebe zu seiner Frau. Typische Land- und Österreich-Ingredienzen: Der eine Nachbar erschießt sich, der andere erhängt sich, im Nebenzimmer stirbt quälend langsam der Vater, der Pfarrer verweigert den Segen für die Selbstmörder etc. Beschreibungen angelehnt an Stifter, und obwohl das alles nach Bernhard klingt, vom Ton her ganz anders, viel empfindsamer. Interessant, aber auch irgendwie kalt, ausgestellt.

Friday, August 08, 2014

Wolfgang Herrndorf - Arbeit und Struktur

Einzigartig, ein Dokument. Wollte erst die Lesung nicht hören, um die empfundene Autorenstimme nicht zu verlieren. Aber nach einer Weile Diehl identisch damit.

John Burnside - In hellen Sommernächten

Burnside ist einer der Autoren, von dem ich jedes Buch lese. Alles geschieht unglaublich langsam, alles scheint Landschaft, ohne dass er die eigentlich beschreibt. Geheimnisvolles wandert beim Lesen ständig mit, aber nur so im Augenwinkel, nie tritt es richtig hervor. Alles ist voller Geschichten, aber auch die legt er nur irgendwo in diesem wahrhaft romantischen Ort seines Erzählens aus, ohne sie durchzuexerzieren. Ich kenne keinen großartigeren Rauner unter den Romanciers von heute.

Sunday, August 03, 2014

Helmut Krausser - Eros

Helmut Kraussers Eros habe ich vor einigen Jahren schon mal angefangen. Bin damals dann aber nur so ungefähr bis Seite zehn gekommen. Dachte mir vor Kurzem: Komm, Krausser hast du doch früher ganz gerne gelesen, einer der vielleicht etwas zu sagen hat und so weiter. Also habe ich das Buch wieder aus dem Regal gesucht und angefangen und es war grauenhaft. Warum sollte man ein Buch lesen über lauter unsympathische, großmäulige, eitle, hysterische, geschwätzige, eitle, größenwahnsinnige, einfältige, eitle, komplexbehaftete Typen, lauter Pappkameraden und -kameradinnen, mit denen man nie, nie, nie ein Bier trinken gehen würde? Auch die Sprache ist schlimm (der Musiker Rolf ist gerade "etwas depressiv", Demonstranten werden "verhandschellt"), die Erfindung platt, die Handlung konstruiert, die Ausstaffierung falsch (der Jazz Club im 50er-Jahre-Teil der Handlung soll "Der verkaterte Stiefel" heißen - glaub ich einfach nicht). Mein Widerwille gegen das Buch war am Ende so stark, dass ich es im Zug liegen gelassen habe. Wollte es gar nicht mehr im Haus haben. 

Friedrich Ani - Gottes Tochter

Ani ist einer, der Mut zum Pathos hat, und das gefällt mir an sich schon mal. Die Bücher wollen einfach nie irgendwie cool daher kommen. Von Ani gibt es nichts Glattes, Durchgestyltes, Kaltes. Bei ihm brennt es immer irgendwie. Das liegt an den Typen, die er da beschreibt. Geht schwer in die Richtung Hans Fallada. Man merkt einfach auf jeder Seite, dass es dem Mann weniger darum zu tun ist, nur so schöne Literatur zu machen, sondern diesen Typen irgendwie Gehör zu verschaffen. Als wäre es wichtig, dass die Welt/der Leser wissen, dass es die gibt. Die Mittel, die er dafür verwendet, passen dazu. Klar, dass sich da zwei treffen und zufällig das gleiche Hölderlin-Gedicht auswendig kennen - so was von geschenkt. Vertrieben werden die Bücher als Krimis. Mögen sie ja auch irgendwie sein, aber auch das: so was von geschenkt.