Friday, February 28, 2014

Wolfgang Haas - Die Verteidigung der Missionarsstellung

Brillianter Roman und unterhaltsames Spiel mit der Form. Episoden aus dem Leben eines Halbindianers, der sich Rinderwahnsinn, Hühnergrippe und Schweinepest parallel zu Liebesinfekten einfängt. Haas spielt mit dem Stoff nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auch in den Mikrokosmen von Sprache und Typografie. Zum Beispiel fährt einmal ein Paar im Aufzug, wobei Haas das Abwärts im Schriftbild wiedergibt, indem er den entsprechenden Absatz über mehrere Seiten wie in einem Daumenkino nach unten wandern lässt. Kenne keinen einfallsreicheren Autoren.

Jonathan Lethem - Chronic City

Roman über New York. Eine Clique von Nerds kifft sich durch die Nachmittage, jagt virtuellen Schätzen in einer Second-Life-Variante nach, fürchtet sich vor einem zerstörrerischen Immobilientiger und verliert ganz tragisch alle Illusionen. Stilistisch brilliant, streckenweise sehr lustig. Einer der wirklich tollen US-Erzähler der Generation nach Updike, Roth und Co.

Thursday, February 27, 2014

Robert Harris - Intrige

Aufregende Geschichtsstunde, Harris ist da einfach ein Meister. Die gesamte Affäre Dreyfus, kristall klar erzählt. Geradezu perfekter historischer Roman. U-E-Diskussionen drängen sich angesichts eines solches Romans auf. Stoff, Thema, Stil, alles ist "ernsthaft." Nur ist es wohl keine "ernsthafte" Literatur, und während Hilary Mantel zwei Mal den Booker-Preis einstreicht, gilt Robert Harris kaum als "ernsthafter" Anwärter dafür. Es gibt wohl eine rein literarische Dimension, die bei Mantel deutlich stärker ausgeprägt ist, als bei Harris. Nur, wie lässt sich die beschreiben? Grob würde ich sagen, das hat zu tun mit Stimmung, Tonlage, Radikalität der Perspektive. Ach ja, Jaenicke liest auch sehr gut, obwohl sein Akzent etwas gewöhnungsbedürftig ist.

Neil MacGregor - Shakespeares ruhelose Welt

Schönes Buch über typische Shakespeare-Themen - Folter, Thronfolge, Zeit -, erzählt anhand von Objekten wie Becher, Koffer, Münzen etc. Allerdings als E-Book nicht so geeignet, da farbenprächtig bebildert. Bestes Kapitel am Schluss über das Objekt Shakespeare als Buch und die zeitlosen Marginalien berühmter Leute wie Ranicki oder Mandela darin.

Wednesday, February 19, 2014

Jean Echenoz - Laufen

Kleine, sehr charmante Biografie über Emil Zatopek. Seine Läuferkarriere, seine Trainingsmethode, seine Erfolge, politische Restriktionen, seine Popularität, nachdem ihn das Regime verstoßen hat. Sehr klarer Stil, toll, wie hier ein lebenslanger Bogen gespannt wird - auf nicht mehr als 140 Seiten.

Christopher McDougall - Born to Run

Ein Lebensbuch: Laufe natürlich. Laufe auf den vorderen Ballen. Laufe lange und lächle dabei. Laufe Zickzack. Lächle die Schmerzen weg. Lass dich nicht von den Marketingtricks von Nike und Co täuschen. Esse wie ein armer Mensch. Habe Spaß am Laufen. Laufe wie Emil Zatopek. Laufe barfuß. Laufe und gesunde!

Max Frisch - Mein Name sei Gantenbein

Gegenwartsklassiker, von dem im übrigen nicht sehr guten ZEIT-Führer dazu animiert. Es liest sich relativ leicht, keine Ahnung, warum das mal als schwierig galt. Eine gewisse Intellektuellen-Eitelkeit weht einen daraus an - gemeinsam mit viel Pfeifenrauch und Whiskydunst. Habe auch den Verdacht, dass die Gantenbein-Idee gar nicht recherchiert ist. Hat Frisch hier Blinde gefragt, wie die Umgebung auf sie reagiert? Viele der skizzierten Szenarien scheinen mir bloße Gedankenexperimente, Schachtischkonversation. Was mir heute aber noch immer gefällt, ist das Skizzenhafte. Noch mal werde ich es aber vermutlich nicht lesen.

Tuesday, February 11, 2014

Anne Weber - Tal der Herrlichkeit

Sehr schöner Roman über eine utopische Liebesgeschichte: Schöne Frau (reich) erblickt einen etwas heruntergekommenen Mann und küsst ihn spontan auf den Mund. Er sucht sie, kriegt sie, wilde Bettszenen, dann alles hin. Und er sucht sie dann noch einmal, aber in einem ganz, ganz wüsten Land. Erinnert da dann etwas an Kasack, die Stadt hinter dem Strom etc. Das ist alles sehr gut. Stark auch die große Klargheit des Romans. Nur den Klappentext muss man verstecken, sonst heißt es fremdschämen, wenn einen jemand mit dem Buch ertappt.

Sunday, February 09, 2014

Kevin Powers - Die Sonne war der ganze Himmel

Starkes Antikriegsbuch im Irak 2004 spielend. Zwei Privates und ihr Sergeant und der Drahtseilakt des Überlebens zwischen Drill, Tapferkeit, Verzweiflung und Wahnsinn. Stark die Unmittelbarkeit der Darstellung und die Ökonomie, mit der Unfassliches so prägnant dargestellt wird. Unglaubliche Landschaften nebenbei.


James Salter - Alles, was ist

Souveräner Roman über einen Lektor in New York und dessen Ehen und Liebschaften über die Hälfte seines Lebens hinweg. Beschreibung eines mehr oder weniger glücklichen, erfüllten Lebens, etwas, was man selten liest oder wovon kaum gelungen geschrieben wird. Sehr ansprechend die Art, wie Salter auch in alle Nebenfiguren für ein paar Seiten hineinzoomt und damit so etwas wie die Essenz der Existenz auf den Punkt bringt. Dabei ganz und gar szenisch, nie psychologisierend. Nur ganz selten mal angeödet, weil es doch mal zu viel Namen sind und man nicht recht weiß, von wem jetzt die Rede ist. Zeitgeschehen wird en passant berührt, einige Literaturpromis werden gestreift. Sonst nur: lieben, lesen, reisen, in Wohnungen und Häusern wohnen, Parties, Bars und Restaurants. Alles von einem ruhigen, leise melancholischen Fluss, dem man sich nicht entziehen kann. Auf Amazon gibt es eine riesige Fläche von Presse-Anpreisungen des Romans. Vom Meisterwerk ist die Rede. Tatsächlich der Eindruck von großer Souveränität und Könnerschaft. Und die Frage, ob es in Deutschland einen epochalen Erzähler, wie ihn und seines Jahrgangs gibt bzw. gab. Vielleicht Kempowski, dieser jedoch ganz anders.

Thursday, February 06, 2014

Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski

Den dritten der fünf Elefanten wieder gelesen. Unvergesslich damals im Winter vor 25 Jahren das erste Mal. Hauste damals selbst in einer Dostojewski-mäßigen Klause. S.H. wollte mich zu einer Kneipentur abholen, aber ich verzichtete, konnte nicht aufhören zu lesen. Einiges ist noch davon da, aber die Intensität stellt sich freilich nicht mehr ein. Überrascht, wie interessant die religiösen Passagen des Starez waren. Lebensbejahung pur. Teilweise auch sehr gequält von Längen und Wiederholungen, dem Seitenschinden des Fortsetzungsautoren. Die Neuübersetzung von Swetlana Geier, die so gerühmte. Der Text kam mir kantiger vor, das schon, ungeschliffener. Manchmal stilistisch überhastet. Vielleicht ist das echter, aber ein wenig hat es auch gestört. Und der Anmerkungsapparat ist eine Enttäuschung. Kaum eine echte Erhellung, häufig fast Paraphrasen des Romantextes oder banales Konversationslexikonwissen. Vieles wird gar nicht richtig erklärt, wie etwa die seltsame Bezeichnung für den Irrsinn, die die Figuren teilweise befällt - "Nadryw." Jetzt noch der Grüne Junge und Schuld und Sühne, dann kann es von vorne los gehen..

Monday, February 03, 2014

Alina Bronski - Scherbenpark

Sehr schöner, anfangs geradezu mitreißender Roman über eine 17-Jährige, deren Stiefvater ihr Mutter samt Freund ermordete und die jetzt ihre 2 Geschwister alleine aufziehen muss. Vor allem ist es die unerschrockene Stimme der jugendlichen Erzählerin, die überzeugt. Hier ist jemand der so munter drauf los erzählen kann, wie John Irving. Und auch dessen Suchtpotenzial entfalten kann.