Friday, October 29, 2010

Licht im August - William Faulkner


Jetzt also eines dieser Riesentrümmer der Weltliteratur. "Licht im August".

Die Geschichten von mehreren Menschen, die an zwei Tagen in Faulkners Jefferson kulminieren: Joe Christmas, der vermeintliche weiße Schwarze, der eine weiße Frau ermordet bzw. auf Verlangen tötet, flieht, gelyncht wird; Hightower, dessen Leben eigentümlich hängen geblieben ist, ein Geistlicher ohne Amt und Würden; Lena, eine Schwangere, die angesichts der Tragödien um sie herum völlig klar und geradlinig bleibt und einfacher immer weitergeht; und viele andere.

Eine besondere Kunst Faulkners besteht darin, dass er die Figuren nicht einfach ins Geschehen setzt, sondern ihre gesamte Geschichte entrollt, die sie mit sich schleppen wie ein Fluch.

Die Wucht des Romans kommt teils daher, teils entsteht sie durch das Biblisch-Monumentale von Sprache, Landschaft und der Motivik von Schuld, Leidenschaft und Gnade.

William Faulkner - Die Stadt


Der 2. Teil der Snopes-Trilogie. Flem zieht nach Jefferson und steigt vom Ladenbesitzer zum Kraftwerkschef, dann zum Vizepresidenten der Bank und schließlich zu deren Präsident auf. Dabei entledigt er sich nach und nach der Menschen, die ihn bei seinem Aufstieg im Weg stehen, vor allem nicht gesellschaftsfähige Familienangehörige. Das ist das Hauptmotiv. Außerdem gibt es eine Fülle von reizvollen Seitenthemen:

"Die Stadt" ist die Tragödie von Eula Varner, einer dieser besonders ephemen Frauen, deren Funktion in Geschichten meistens auf ihre Wirkung auf die handelnden Männer beschränkt ist. Doch davon emanzipiert sich Eula, indem sie sich in die Galerie der selbstmörderischen Ehefrauen der Weltliteratur einreiht.

Weiter gibt es da noch die sehr schöne Figur des Destriktanwalts Gavin. Er ist leidenschaftlich verliebt in Eula und dann in deren Tochter. Aber er lässt sich nicht davon hinreißen, sondern lebt eine menschliche Form der Liebe vor. Sehr drollig die Gespräche dort am Familientisch.

Etwas zum Aufbau. Das Buch ist zusammengewürfelt, zwei oder drei Kapitel daraus sind auch separat als Erzählungen erschienen. Das merkt man dem Buch an, aber sehr schlimm ist es nicht. Der Leim des Snopschen Ehrgeizes hält auch das Episodische zusammen. Außerdem: Gehört zur Vertrautheit mit einer bestimmten literarischen Landschaft nicht auch das Wiederhören, das wiederholte Erzählen nestimmter "Legenden"?

Die Kompositon birgt trotz des Mosaikhaften (wenn auch zersplittert) sehr Kunstvolles, wie etwa der scherzohafte Abschluss mit den wilden mexilanischen Snopes nach der Tragödie Eula Varner.

Jetzt also noch "Das Haus".

Friday, October 08, 2010

"Indessen will die Stehparty nicht enden." Die Rättin - Günter Grass



Lektürenotizen zur Rättin

80er Jahre. Müllberge, Waldsterben, Angst vor der Atomvernichtung, Punks. Ist das aber veraltet, weil so zeitgebunden? Stirbt der Wald jetzt eigentlich nicht mehr. Man würde wohl annehmen, dass nicht mehr so sehr. Mit unruhigem Gewissen.

Stark das Bemühen um Bildhaftigkeit der Prosa. Zu Lasten der Handlung? Ach, was ist Handlung? Eher auf Kosten der Figuren. Bislang ist die Ratte noch die profilierteste.

Gefühl, dass das alles ins Leere läuft, eine leitende Struktur schwer erkennbar. OK, der Erzähler ist ein neuer Johannes von Patmos, der von der ihm durch die Rättin bebilderte Appkalypse erzählt. Da wird dann wohl eine breite Chronik des Untergangs entfaltet (Zeichen, Verleugnungen, Mahnungen, Warnungen, Panik, Resignation, faktisches Untergehen). Aber was soll der Film? Was die Frauenfraktion auf dem Kahn? Hänsel und Gretel, die Überladenen Punks und Kanzlerkinder?

Bei Grass immer: die Atmosphäre des Kräftig-Deftig-Kreativen. Kartoffeln, Zwiebeln, Spätäpfel, Quark und Heringe.

Ist das Absicht: Erst waren die dressierten Labormäuse die Verursacher des Atomkriegs, dann doch die Ratten selbst, nur ein Kapitel später. Was hätten die davon?

Reich an Ideen, Mangel an Identifikation. Es muss ja jetzt nicht der Held sein. Aber etwas menschliche Nähe täte gut.

Manchmal auch sehr öde, etwa die Geburtstagsfeier. Auf Video gebanntes auf der Stelle Treten. Bei allem immer viel zu viele Figuren (keine Personen, keine Charaktere), die herumstehen. Überraschungen kommen so träge daher, wie die Schnecken, die die Wörterbücher heranschleppen.

Laut gelesen gewinnt der Text. Die Sprache eines Bildhauers: selten im Fluss, brockenweise bildhaft.

Rübezahl klaftert das Holz "wütig." Manier oder Genauigkeit?

Umständlichkeit, die anödet. Zu viele ununterscheidbare Frauen auf dem Schiff mit zu viel behängt, zu viele Geburtstagsgäste mit zu vielen Geschenken, zu viele Märchenfiguren mit zu wenig echten Aufgaben. Das muss dann in jedem Kapitel wieder bewegt, ermüdend von einer Ecke in die andere gehievt werden. Quält den Leser, der immer weiter will.

Manchmal benennt der Erzähler die Mankos des Texts selbst. Steilvorlagen für Rezensenten: "Ich träume neuerdings Wiederholungen und Varianten" oder "Indessen will die Stehparty nicht enden".