Sunday, December 12, 2010

Bernard Cornwell - Das letzte Königreich

Ich weiß nicht, woran es liegt, läuft mir aber um einiges schwerer rein, als alle seine Artus-Sachen.

Aber trotzdem noch starkes, kräftiges Lesefutter.

Interessanter Typ, dieser Bernard Cornwell. Fand vor kurzem dieses Video, das zeigt, was er für ein cooler Bursche ist.


Zusuzsa Bánk - Der Schwimmer

Ziellos Bücher aus dem Regal genommen. Und wieder in die Lücke geschoben. Bienecks Gleiwitzer Tetralogie zum Beispiel. Das ich bestimmt auch irgendwann lesen werden. Wahrscheinlich hat mich der Klappentext von Jan Knopf abgestoßen, der sich an die Blechtrommel erinnert fühlte. Und, Oberschlesien. Das kann man auch nicht immer ab.

Bei B dann auf Zsuzsa Bánks Roman Der Schwimmer gestoßen. Habe das Buch schon oft in der Hand gehabt. Die Aufmachung gefällt mir nicht. So eine Sommer-Sonder-Edition. Lieblos, aber billig. Der Kassenzettel ist noch drinnen - 28.11.06. 3.95. Modernes Antiquariat.

Jedenfalls sofort 50 Seiten gelesen. Manche Bücher haben es einfach. Die Sprache, den Ton, den Rhythmus.

Geschichte zweier Kinder in Ungarn, deren Mutter rüber gemacht hat. Der Vater flieht ruhelos durch das Land. Alles sehr provinziell, pre-kapitalistisch, vor oder zwischen den Aufständen.

Tolle Einzelheiten: Der Bruder legt sein Gesicht auf den warmen Asphalt. Wenn er den Kopf hebt, kleben Steinchen an seiner Wange oder der Klebestreifen, der an der Lampe hängt und schwarz von Fliegen ist.

Thursday, November 25, 2010

Tolstoi - Familienglück

Zum Tolstoitodestag eine lange Erzählung. Eine sehr junge Frau liebt einen nicht mehr ganz jungen Mann. Sie heiraten und sind glücklich. Aber dann wird ihr das Landleben zu langweilig und der Mann lässt sie am giftigen Gesellschaftsleben nippen. Jetzt ziehen sie in die Stadt, gehen auf Partys und so weiter. Darüber verfliegt dann alles, Liebe und Glück. Aber nach dem die Frau ihre Erfahrungen gemacht hat, kehrt sie zu ihm zurück und beide finden ein reifes Glück. Oder so.

Sehr schöne Stimmungsbilder, Präzision der Beziehung und ihrer Entwicklung. Am Ende dann alles doch etwas vom Moralismus verdorben.

Obwohl er sicher recht hat. Aber Rechthaber nerven auch immer ein wenig.

Saturday, November 13, 2010

Benjamin Kunkel - Unentschlossen

Benjamin Kunkel also. Unentschlossen. Der Titel des Romans ist schon mal sehr ansprechend. Habe ihn in einem Rutsch durchgelesen.

Es ist jedenfalls wieder einer dieser amerikanischen Romane, die verdammt gut geschrieben sind. Das gibt es hier gar nicht, diesen lockeren Ton, der dennoch so viele Bilder im Kopf entsehen lässt und gleichzeitig auf einer Handlung basiert, die "straight" zur Sache kommt.
Dieses "Staight"-Leseerlebnis ist haargenau das selbe, das ich schon damals als Student hatte, als ich noch keinen Fernseher hatte und die Bücher danach auswählte, was mir am Abend die bestmögliche Unterhaltung liefern würde. Die Highlights damals waren so weit ich mich erinnere: Der Ghostwriter von P. Roth und Rabbit in Ruhe von J. Updike. Ja und natürlich Nabokovs Ada und Lolita, obwohl das irgendwie eine andere, europäische Kategorie ist.

Unentschlossen also. Der Titel ist Programm: Dwight, ein Endzwanziger, Philosophie-Absolvent, verliert seinen Job im Technical-Support einer Pharma-Firma und versucht daraufhin, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Sein Problem: Er leidet an chronischer Unentschlossenheit. Dagegen nimmt er ein Medikament, das sich am Ende freilich als Plazebo erweist (solche Pillen sind in allen Romanen immer Plazebos). Wichtiger aber ist, dass er eine Reise nach Südamerika macht, um seine Jugendliebe Natascha zu treffen. Diese Reise verändert ihn von Grund auf. Statt Natascha erwartet ihn eine andere Frau, mit der er einen irren Tripp durch den Dschungel Ecuadors macht. Nach einigem hin und her verlieben sie sich ineinander. Der Roman endet damit, dass er sich zum demokratischen Sozialismus bekennt und in Bolivien gegen die von der USA gestützen Militärdiktatur arbeitet.

Das ist die Handlung. Sie ist es aber noch lange nicht, die das Buch zu einem lesenwerten Buch macht.

Die Gründe, die für die Lektüre sprechen, liegen auf anderen Ebenen: der der Sprache und der der Hauptgestalten.

Die Sprache des Buches ist es, was dem Leser auf jeder Seite Genuss verschafft. Alles ist unglaublich pointiert und gekonnt, die Metaphern frisch.
Ich schlage wahllos irgendeine Seite auf.
Und doch verkörperte die Beachtung, die wir Mister schenkten, eine Eltern-Kind-Basis, die vermuten ließ, dass in unserer Familie unter der Hand große Mengen erstklassiger Liebesgefühle kursierten, wenn wir so mit unserem Hund umgingen - so lieb er auch war. Unsere Gefühle für Mister waren wohl irgendwie der Maßstab für unsere Herzen.
Mister, das ist der Hund. Ganz locker werden hier aus etwas Gegenständlichem (ok, es ist ein lebendiger Hund), komplexe emotionale Verhältnisse verdichtet.

Der andere Grund für das Buch liegt wie gesagt in den Figuren, namentlich in der Hauptfigur und seiner Freundin Brigid. Sie haben ihre Schwächen und Eigenarten und sind mit Gefühl für Details gestaltet (Dwights Klamotten, sein schüchternes Dandytum etc.)

Alles in allem eine sehr lauschenswerte neue Erzählstimme aus Amerika.



Saturday, November 06, 2010

Norbert Gstrein - Die ganze Wahrheit

Irgendwie unangenehmer Schlüsselroman über ein Literaturbetriebsmonster.

Friday, November 05, 2010

Das böse Mädchen - Mario Vargas Llosa

Nobelpreisträgerbuch, das in Reichweite lag, hübsche Idee: Das böse Mädchen taucht in jeder Lebensepoche auf, beschert Glück und Unglück und stirbt am Ende in seinen Armen.

Verwandlungen, Lebensleitmotiv.

Spitzbuben - William Faulkner


Eine dieser schönen Geschichten, in denen ein Junge und ein paar andere schräge Gestalten sich auf unerlaubte Pfade machen: Sie nehmen sich Großvaters Auto und starten damit eine Odysee durch die Südstaaten. Die Zutaten dieses famosen Abenteuergerichts: Ein Bordell in Memphis, ein Rennpferd, eine Wette, ein gestohlenes Auto, fiese Scheriffs, schlitzohrige Ex-Sklaven usw. Dabei geht es - etwas zu deutlich vielleicht - um die Mannwerdung des Erzählers, der hier erstmals die feine Linie zwischen Ordnung und Chaos übertritt.

Für mich eines der besten Faulkner Bücher in der kleinen Reihe, die ich gerade durch-lesen habe:
  • Es ist eine von diesen schönen Tom Sawyer und Huckelberry Finn-Geschichten, die man fast immer gerne liest.
  • Es gibt sehr viele sehr schöne Beispiele von Menschlichkeit in dem Buch: Lucius zum Beispiel, der Pferdespezialist, der auf der gesellschaftlichen Rangleiter ganz unten steht, sich aber durch seine Kenntnisse Anerkennung von ganz oben erringt.
  • Die Sprache Faulkners ist trotz der Leichtigkeit des Stoffes von diesem altersweisen Moralismus geprägt, der bei anderen sehr übel sein kann, bei Faulkner aber immer glaubwürdig und echt klingt.
  • Es ist Faulkners letztes Buch. Und letzte Bücher sind immer irgendwie etwas Besonderes.

Übrigens: Das Buch steht schon seit mindestens zehn Jahren in meinem Regal. Habe mehrere Anläufe gebraucht. Scheint so, dass auch im Faulkner-Leser eine Struktur heranreifen muss, um ihn besser zu fassen.

Der Nachsommer - Adalbert Stifter

Höre eine großartige Lesung von Joachim Schmidt, der das ganz ruhig und klar liest und man sich angenehm getragen fühlt auf dieser Donau von einem epischen Werk.

Das darin nichts aufregendes passiert, das ist seltsamer Weise das interessante. Nach und nach merkt man aber doch, dass sich klitzkleine Friktionen einstellen. Ein zu langer Blick auf in ein, man muss wohl Antlitz sagen, eine unerklärliche Ruhelosigkeit, nicht mehr.


Manchmal hört es sich für den heutigen Leser wie eine Parodie an.

Bei manchen Büchern wünscht man sich ja fast (insgeheim), dass mal nichts Dramatisches geschieht. Verzicht auf den immer irgendwie angestrengten Plot. Ideal des ereignislosen Romans. Hier wird das verwirklicht.

Der Stil ist natürlich großartig, auch wenn heutige Schreibschulen einiges einzuwenden hätten. Aber es wirkt, es atmet, selbst wenn es reinster Kanzleienstil ist.

Ein Lektor würde heute anfangen zu kürzen: die Mitteilung, dass der Held beim nächsten Besuch das selbe Zimmer bezieht, das ebenso reinlich ist, wie beim ersten Mal; dass sie, nachdem sie zusammen gemalt haben, das Gerät dazu wieder brav aufräumen etc. Dann aber würde er merken, dass er damit das vielleicht Entscheidende aus dem Gewebe entfernt und das mit der Vermittlung von Zeit zu tun hat: Die Schönheit des Flusses ist die Breite seines Fließens.

Einige Textstellen, hier schreibt er sehr schön und geradezu weihevoll über "die Dichter":

Ich sprach mit meinem Gastfreunde auch von den Dichtern...

»Ich habe diese Bücher gesammelt«, sagte er, »nicht als ob ich sie alle verstände; denn von manchen ist mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter, wenn sie es im rechten Sinne sind, zu den größten Wohltätern der Menschheit zu rechnen sind. Sie sind die Priester des Schönen und vermitteln als solche bei dem steten Wechsel der Ansichten über Welt, über Menschenbestimmung, über Menschenschicksal und selbst über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im Gewande des Reizes, der nicht altert, der sich einfach hinstellt und nicht richten und verurteilen will. Und wenn auch alle Künste dieses Göttliche in der holden Gestalt bringen, so sind sie an einen Stoff gebunden, der diese Gestalt vermitteln muß: die Musik an den Ton und Klang, die Malerei an die Linien und die Farbe, die Bildnerkunst an den Stein, das Metall und dergleichen, die Baukunst an die großen Massen irdischer Bestandteile, sie müssen mehr oder minder mit diesem Stoffe ringen; nur die Dichtkunst hat beinahe gar keinen Stoff mehr, ihr Stoff ist der Gedanke in seiner weitesten Bedeutung, das Wort ist nicht der Stoff, es ist nur der Träger des Gedankens, wie etwa die Luft den Klang an unser Ohr führt. Die Dichtkunst ist daher die reinste und höchste unter den Künsten. Da ich nun meine, daß es so ist, wie ich sage, so habe ich die Männer, welche die Stimme der Zeiten als große in der Kunst des Dichtens bezeichnete, hier zusammengestellt. Ich habe Dichter in fremden Sprachen, die ich nicht verstand, dazu getan, wenn ich nur wußte, daß sie in der Geschichte ihres Volkes vorzüglich genannt werden, und wenn ich von einem Fachmanne das Zeugnis hatte, daß ich in dem Buche den Dichter besitze, den ich meine. Sie mögen unverstanden hier stehen oder es man wohl einer oder der andere in diesen Saal kommen, der manchen versteht und liest. Ich habe wohl auch solche Bücher hieher gestellt, die mir gefallen, das Urteil der Zeit mag anders lauten oder erst festzustellen sein. In diesen Büchern habe ich viel Glück gefunden und in dem Alter fast noch mehr als in der Jugend. Wenn auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde mit einem Sturme und mit Entzücken aufnimmt, wenn sie auch dieselben mit einer Art Schwärmerei und mit Sehnsucht in dem Busen trägt, so ist es doch fast stets mehr die Wärme des eigenen Gefühles, die sie empfindet, als daß sie die fremde Weisheit und Größe in ein besonnenes, betrachtendes, abwägendes Herz aufnehmen könnte. Ihr seid selber jung, und die Tiefe und Innigkeit der Dichtung mag euch fördern und euer Herz jedem künftigen Großen öffnen, wie die reine Dichtkunst das immer an der Jugend tut; aber ihr werdet selber einmal sehen, um wie viel milder und klarer die verglühende Sonne des Alters in die Größe eines fremden Geistes leuchtet als die feurige Morgensonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze färbt, so wie es eine Tatsache ist, daß die innige, wahre und treue Liebe der alternden Gattin fester und dauernder beglückt als die lodernde Leidenschaft der jungen, schönen, schimmernden Braut. Die Jugend sieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und Unendlichkeit der Zukunft, diese verhüllt die Mängel und ersetzt das Abgängige. Sie dichtet in das Kunstwerk, was im eignen Herzen lebt.

Natürlich gibt es die typische Einschränkung für die Jugend:

"Daher kömmt die Erscheinung, daß Werke von bedeutend verschiedener Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können, und daß Erzeugnisse höchster Größe, wenn sie keine Wiederspieglung der Jugendblüte sind, nicht erfaßt werden können. In dem Alter werden selbst solche Glanzstellen der Jugend, die schon sehr ferne liegen, wie etwa die Sehnsucht der ersten Liebe mit ihrer Dunkelheit und Grenzenlosigkeit, oder wie die holde und berauschende Seligkeit der Gegenliebe, oder die Träume künftiger Taten und künftiger Größe, der Blick in ein unendliches, erst kommendes Leben, oder wie das erste Stammeln in irgend einer Kunst, von dem Greise in dem sanften Spiegel seiner Erinnerung beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der sie in dem Brausen seines Lebens überhört, und an der grauen Wimper mag manche beseligendere und mitunter schmerzlichere Träne hängen als der feurige Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem Auge des Jünglings springt und keine Spur hinterläßt.

Dann geht es um das "reife" Lesen:

"Ich lese jetzt selten mehr die größten Geister im Zusammenhange - mit kleineren tue ich es wohl, weil sie in einzelnen Stellen minder bedeutend sind -, aber ich lese immer in ihnen und werde wohl bis zu meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie begleiten mich mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen durch den Rest meines Lebens und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhängen, als wären sie von meinen eigenen Rosen geflochten."

Die Dichter stehen ihm auch über den Philosophen:

"Da ich von der Weisheitslehre sprach, welche man in unserem deutschen Lande noch immer als Weisheitsliebe mit dem griechischen Worte Philosophie bezeichnet, muß ich euch sagen, was ihr wohl vielleicht schon aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß ich nicht gar sehr viel auf sie halte, wenn sie in ihrem eigenen und eigentümlichen Gewande auftritt. Ich habe alte und neue Werke derselben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhandlungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen könnte, ja sie sind mir sogar widerwärtig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegenstande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheitsbüchern, am wenigsten aus den neuen - jetzt lese ich gar keine mehr - gelernt, sondern ich habe sie aus Dichtern genommen oder aus der Geschichte, die mir am Ende wie die gegenständlichste Dichtung vorkömmt.«

Der Gastfreund ist natürlich ein richtig satter Vielleser:

"Als ich meinen Gastfreund so reden hörte, erinnerte ich mich, daß ich ihn in der Tat viel lesen gesehen habe. Oft war er mit einem Buche unter einem schattigen Baume gesessen oder in rauherer Jahreszeit auf einer sonnigen Bank, oft hatte er sich mit einem auf einen Spaziergang begeben, er ist sehr häufig in dem Lesezimmer gewesen, und er trug Bücher in seine Arbeitsstube. Als wir die letzte Fahrt in den Sternenhof gemacht hatten, hatte er Bücher mitgenommen, und ich glaube von Gustav gehört zu haben, daß er auf jede Reise Bücher einpacke."

Kurios: Der Gastfreund berät den Erzähler. Er sei zu festgelegt, solle sich noch breiter aufstellen. Sprich: noch
mehr Muse, neue Dinge auf sich zu kommen lassen. Dabei kann man sich beim besten Willen keinen breiteren Bildungswanderer vorstellen. Aber - und da ist Stifter doch seht exakt, präziser als der Leser - im Folgenden setzt der Erzähler mit der ihm eigenen Konsequenz den Rat in die Tat um und jetzt dämmert auch dem heutigen Leser, was gemeint ist. Denn ihm fehlt Welterfahrung. Und so schließt er sich in der Stadt allerlei Kreisen und Gesellschaften an. Sehr berechnend. Es fröstelt einen manchmal bei diesem Ideal.

Nun also. Eine reine Welt, konfliktfrei bis zur Grenze der Sterilität. Es ist noch einmal so ein Fall, bei dem einer alles in sein Buch gesteckt hat.

Friday, October 29, 2010

Licht im August - William Faulkner


Jetzt also eines dieser Riesentrümmer der Weltliteratur. "Licht im August".

Die Geschichten von mehreren Menschen, die an zwei Tagen in Faulkners Jefferson kulminieren: Joe Christmas, der vermeintliche weiße Schwarze, der eine weiße Frau ermordet bzw. auf Verlangen tötet, flieht, gelyncht wird; Hightower, dessen Leben eigentümlich hängen geblieben ist, ein Geistlicher ohne Amt und Würden; Lena, eine Schwangere, die angesichts der Tragödien um sie herum völlig klar und geradlinig bleibt und einfacher immer weitergeht; und viele andere.

Eine besondere Kunst Faulkners besteht darin, dass er die Figuren nicht einfach ins Geschehen setzt, sondern ihre gesamte Geschichte entrollt, die sie mit sich schleppen wie ein Fluch.

Die Wucht des Romans kommt teils daher, teils entsteht sie durch das Biblisch-Monumentale von Sprache, Landschaft und der Motivik von Schuld, Leidenschaft und Gnade.

William Faulkner - Die Stadt


Der 2. Teil der Snopes-Trilogie. Flem zieht nach Jefferson und steigt vom Ladenbesitzer zum Kraftwerkschef, dann zum Vizepresidenten der Bank und schließlich zu deren Präsident auf. Dabei entledigt er sich nach und nach der Menschen, die ihn bei seinem Aufstieg im Weg stehen, vor allem nicht gesellschaftsfähige Familienangehörige. Das ist das Hauptmotiv. Außerdem gibt es eine Fülle von reizvollen Seitenthemen:

"Die Stadt" ist die Tragödie von Eula Varner, einer dieser besonders ephemen Frauen, deren Funktion in Geschichten meistens auf ihre Wirkung auf die handelnden Männer beschränkt ist. Doch davon emanzipiert sich Eula, indem sie sich in die Galerie der selbstmörderischen Ehefrauen der Weltliteratur einreiht.

Weiter gibt es da noch die sehr schöne Figur des Destriktanwalts Gavin. Er ist leidenschaftlich verliebt in Eula und dann in deren Tochter. Aber er lässt sich nicht davon hinreißen, sondern lebt eine menschliche Form der Liebe vor. Sehr drollig die Gespräche dort am Familientisch.

Etwas zum Aufbau. Das Buch ist zusammengewürfelt, zwei oder drei Kapitel daraus sind auch separat als Erzählungen erschienen. Das merkt man dem Buch an, aber sehr schlimm ist es nicht. Der Leim des Snopschen Ehrgeizes hält auch das Episodische zusammen. Außerdem: Gehört zur Vertrautheit mit einer bestimmten literarischen Landschaft nicht auch das Wiederhören, das wiederholte Erzählen nestimmter "Legenden"?

Die Kompositon birgt trotz des Mosaikhaften (wenn auch zersplittert) sehr Kunstvolles, wie etwa der scherzohafte Abschluss mit den wilden mexilanischen Snopes nach der Tragödie Eula Varner.

Jetzt also noch "Das Haus".

Friday, October 08, 2010

"Indessen will die Stehparty nicht enden." Die Rättin - Günter Grass



Lektürenotizen zur Rättin

80er Jahre. Müllberge, Waldsterben, Angst vor der Atomvernichtung, Punks. Ist das aber veraltet, weil so zeitgebunden? Stirbt der Wald jetzt eigentlich nicht mehr. Man würde wohl annehmen, dass nicht mehr so sehr. Mit unruhigem Gewissen.

Stark das Bemühen um Bildhaftigkeit der Prosa. Zu Lasten der Handlung? Ach, was ist Handlung? Eher auf Kosten der Figuren. Bislang ist die Ratte noch die profilierteste.

Gefühl, dass das alles ins Leere läuft, eine leitende Struktur schwer erkennbar. OK, der Erzähler ist ein neuer Johannes von Patmos, der von der ihm durch die Rättin bebilderte Appkalypse erzählt. Da wird dann wohl eine breite Chronik des Untergangs entfaltet (Zeichen, Verleugnungen, Mahnungen, Warnungen, Panik, Resignation, faktisches Untergehen). Aber was soll der Film? Was die Frauenfraktion auf dem Kahn? Hänsel und Gretel, die Überladenen Punks und Kanzlerkinder?

Bei Grass immer: die Atmosphäre des Kräftig-Deftig-Kreativen. Kartoffeln, Zwiebeln, Spätäpfel, Quark und Heringe.

Ist das Absicht: Erst waren die dressierten Labormäuse die Verursacher des Atomkriegs, dann doch die Ratten selbst, nur ein Kapitel später. Was hätten die davon?

Reich an Ideen, Mangel an Identifikation. Es muss ja jetzt nicht der Held sein. Aber etwas menschliche Nähe täte gut.

Manchmal auch sehr öde, etwa die Geburtstagsfeier. Auf Video gebanntes auf der Stelle Treten. Bei allem immer viel zu viele Figuren (keine Personen, keine Charaktere), die herumstehen. Überraschungen kommen so träge daher, wie die Schnecken, die die Wörterbücher heranschleppen.

Laut gelesen gewinnt der Text. Die Sprache eines Bildhauers: selten im Fluss, brockenweise bildhaft.

Rübezahl klaftert das Holz "wütig." Manier oder Genauigkeit?

Umständlichkeit, die anödet. Zu viele ununterscheidbare Frauen auf dem Schiff mit zu viel behängt, zu viele Geburtstagsgäste mit zu vielen Geschenken, zu viele Märchenfiguren mit zu wenig echten Aufgaben. Das muss dann in jedem Kapitel wieder bewegt, ermüdend von einer Ecke in die andere gehievt werden. Quält den Leser, der immer weiter will.

Manchmal benennt der Erzähler die Mankos des Texts selbst. Steilvorlagen für Rezensenten: "Ich träume neuerdings Wiederholungen und Varianten" oder "Indessen will die Stehparty nicht enden".

Wednesday, September 22, 2010

Die Akten des Vogelsangs

Wilhelm Raabe, zu ihm verführt durch den großen Romanverführer Rolf Vollmann.

Stark und intensiv gesetzte Geschichte dreier (oder mehrerer) Leben von der Kindheit in ihrem "Block" bis zum Tod des "freiesten" unter ihnen Velten Andres.

Zwei Höhepunkte: Velten verheizt sein gesamtes irdisches Gut, nachdem alle Bindungen abgefallen sind. Dann sein eigenes Ende in der großen Leere.

Eigentlich passiert sonst nichts. Kaum erfährt man etwas über Veltens Weltreisen, gar nichts über die reich werdende Ellen, nicht viel über den zu bürgerlichen Ehren gelangenden Erzähler. Aber alles ist eine Beschwörung der Jugend und Freundschaft, der nachbarschaftlichen Gärten und der Menschlichkeit über den Gartenzaun, die wirklich nahe geht.

Tuesday, September 21, 2010

Tuesday, August 24, 2010

Das Spinnennetz - Joseph Roth

Joseph Roths Stakkato. Unverwechselbar.

Ein Fragment. Wie hätte es enden können?
- Lohse steigt bis an die Spitze und wird von seinem Feind ermordet
- Lenz kostet ihn den Kopf
- Selbstmord
- Wahnsinn
- lebt friedlich, zeugt Söhne, wird fett. Dann trifft ihn der Feind wieder.

Monday, August 23, 2010

Fred Vargas - Der verbotene Ort

Mein erster Vargas und bestimmt nicht mein letzter. Hat alles, was man für eine vergnügliche Lektüre braucht: eine spannende Grundidee, die richtige Dosis an Verrätselung und vor allem Figuren, die die Autorin wirklich interessieren.

Das Besondere an "Der verbotene Ort": Vargas gelingt es, anregend und erfrischend über das inflationäre Vampir-Genre zu schreiben. Man erfährt dabei nicht nur weitere Details zum Thema, auch der Rahmen - Serbien, Blutfehde, Aberglaube - ist durchaus authentisch.

Saturday, July 31, 2010

Cervantes von Bruno Walter


Kleines Buch in kristallklarer Prosa. Kann mich nicht erinnern, schon einmal etwas von gleichem Fluss und Rhythmus gelesen zu haben.

Sehr sympathisch die Figurenzeichnung. Erinnerung an Penzoldt. So angenehm sind die Figuren übrigens bei Thomas Mann nie. Bei den Buddenbrooks, Castorp, auch beim Joseph schwebt ist immer so eine Selbstverliebtheit mit, die es einen schwer macht, ihnen rückhaltlos zu verfallen.

Gekauft gebraucht über Amazon, die Seiten schon so brüchig, dass man sie vorsichtig wenden muss.

rororo Nr. 70. Ganz früher Planet des wunderbaren Rowolt-Universums. Kannte mal jemanden, dessen Ehrgeiz es war, hier bei den frühen komplett zu sein bis 200.

Ich habe immerhin 5, 15, 35, 59, 64, 150, 170. Und viele höhere Nummern.

Man kann sicherlich Unchamanteres sammeln.

Friday, July 30, 2010

Faserland - Christian Kracht


Melancholie- und alkoholgetränkte Deutschlandreise von Westerland bis Thomas Manns Grab. Sound und Milieau ähnlich E.B. Ellis. Länge genau richtig. Sehr guter Schluss. Überhaupt formal und stilistisch weit über dem hierzulande Üblichen. 

Tuesday, July 27, 2010

Deine Augen hat der Tod

Wieder ein Sallis-Buch. Genau mein Blues, wie man so sagt. Atmosphäre etc. Roadmovie. 

Themen: Literatur, Parallelidentitäten, Tod, angeborene Einsamkeit.

Alles von Sallis besorgen.

Wednesday, July 21, 2010

Abgebrochenes

- Unendlicher Spaß. Zwei Versuche. Bin Älter geworden darüber. Vielleicht mach ich weiter.
- Anonymus. Das Buch ohne Namen. Lausig geschriebener Schmarrn. Uninteressant kultig. Wie manche Tarrentinos.
- Antonio Muno Molina. Die Augen des Mörders. Ein elegisches Treten auf der Stelle.
- Der Meister und Margarita. Ein spaßiger Schmarrn zwar. Aber irgendwie mir auch zu hecktisch jetzt.

LITERATENSPIELE


Drei renomierte Autoren geben Schreibseminar auf dem Land. Sie beharken sich oder springen zusammen in die Kiste. Die Auseinandersetzungen ändern das Bild, das sie sich von ihrem Beruf und dem damit verbundenen Dasein gemacht haben.
Nettes kleines Lustspiel. So was Unbeschwertes findet man hier selten.

Thursday, July 01, 2010

Maues Lesejahr

Der unendliche Spaß, zugegeben, hemmt mich in diesem Lesejahr. Und dabei bin ich noch nicht mal bei der Hälfte.

Gut wird das Buch, wenn man in seinen Rhythmus kommt. Wenn nicht, ist es eine Qual.

Und die lädt zum Fremdlesen ein. Dabei ist mir untergekommen:
  • Der Idiot (neuübversetzt von der Geyer) - auch nicht mehr sp packend, wie beim ersten Mal. So geht es mir mit allen Dostojewski-Sachen. Ist ein bissl wie bei Hesse. Mit zunehmenden Alter wird man tolstoianischer.
  • Der Mann ohne Eigenschaften - zur Hälfte, als Lesung von Berger. Stilistisch sehr interessant. Inhaltlich - naja, vieles ist halt schon Welt von gestern.
  • Holzfällen - Thomas Bernhard ist immer eine mentale Reinigung
Aber ich habe den festen Vorsatz, den unendlichen Spaß auszulachen.

Saturday, May 08, 2010

Regenkatze - Sarah Kirsch

Ein ganz entzückendes kleines Tagebuch von Sarah Kirsch und ihrer Katze Emily. Es geht um das tägliche Nichts: das Wetter, das Vogelfüttern, die Lektüre, das Zeitungstagesgeschehen. Zu jedem Tag gibt es einen Abschnitt, manchmal nicht mal eine halbe Seite lang.

Sarah Kirsch schreibt ein eigenes Idiom. Oktober nennt sie Oktopus, den Dienstag Dienst. Alles ist schrullig und sympathisch. Mehr davon.

Saturday, May 01, 2010

Verratene Vermächtnisse - Milan Kundera

Diesen zweiten Essayband von Kundera habe ich schon vor einigen Jahren zum ersten Mal gelesen. Wie schon in der "Kunst des Romans" variiert er auch in diesen Texten seine Ideen zu Romanen, Musik, Europäischer Kultur etc.

Kundera hat eine eigene, sehr eingängige Theorie des Romans entwickelt. Irgendwo zwischen Philosophie und Psychologie verortet, dienen Romane dazu, eine menschliche Seinsmöglichkeit zu entdecken, der sich die Menschheit zuvor noch nicht bewusst war. Daher stellt er die Phänomonologie über die Narration.

Aber diese Theorie steht in diesem Buch weniger im Vordergrund. Hier prangert Kundera den vielfachen Verrat an, den die (Nach-)Welt an den großen Künstlern verübt. Paradebeispiel: Max Brods Weigerung, dem letzten Willen Kafkas Folge zu leisten. Der Grundgedanke: Die Überlebenden verändern den Urtext, die Urpartitur, ja ganze Lebensentwürfe der Künstler, um sie einem vielfach banalerem Schema einzupassen. So etwa Brod in seinem Schlüsselroman über Kafka.

Weitere Beispiele: Die Vereinfachung Janaceks und Strawinskis durch Zeitgenossen oder die Verhunzung einer Hemingway-Story durch die wissenschaftliche "Interpretation."

Das Gute an dem Buch:
- Alles ist sehr eingängig und leicht, obwohl es sich um "pure" Theorie handelt.
- Kundera ist jemand, der die Welt und ihre vorgeblichen Wahrheiten immer wieder in Frage stellt und dadurch sehr viel Überraschendes ans Licht bringt.

Als nächstes werde ich den "Vorhang" wieder vornehmen.

Friday, April 02, 2010

Winter in Maine

Ein einsamer 50er wohnt alleine mit seinem Hund in den Wäldern Maines. Er lebt von Gelegenheitsjobs und verbringt seine Zeit sonst mit der Lektüre seiner rund 3000 Bücher. Als Jäger eines Tages seinen Hund erschießen, rächt er sich, indem er aufs Geratewohl mehrere Jäger erschießt.

Großartiges Buch über die Natur und deren fragiles Gleichgewicht, gespiegelt in der Seele des Mannes. Essentielle Themen Tod, Sterben, Einsamkeit archaisch und packend dargestellt.

Andrew Miller - Gabe des Schmerzes

18. Jahrhundert, ein Kind kommt mit einer sonderbaren Schmerzunempfindlichkeit zur Welt, die sich auch aufs Seelische legt. Es wächst heran und wird ein großer Arzt. Er ist kalt, rücksichtslos und sehr erfolgreich - bis sich die Gesellschaft an seiner Gewissenlosigkeit stört und ihn ausstößt. Dann beteiligt er sich an einem seltsamen Ärztewettrennen zur russischen Zarin, der Sieger darf die Hoheit impfen. Er wird nur Zweiter, was ihn dermaßen zerrüttet, dass er in einem Irrenhaus landet. Im Verlauf der Krankheit und mit Hilfe einer in Russland geretteten Medizinfrau verwandelt sich der einst Schmerzfreie in einen übersensiblen, lebensuntauglichen Mann, der dann schnell stirbt.

Solider historischer Roman etwa im Stile Nadolnys. Der Wahnsinn als Motiv wie immer etwas fragwürdig. Dadurch kann man alles begründen. Also nichts.

Friday, March 26, 2010

Kind 44

Eine Geschichte aus den 50er Jahren der Sowjetunion. Staatssicherheitsmann wird geschasst, bekommt selbst großen Ärger mit dem Geheimdienst, will trotzdem den Mord an vielen Kindern aufdecken, obwohl diese Art Verbrechen nichts ins System passen, findet des Rätsels Lösung in der eigenen Vergangenheit.

Interessant das historische Genre, die Stalin-Ära als Krimistoff. Die Handlung wirkt etwas mechanisch. Ein netter Thriller, der noch ins Vorabendprogramm passt.

Sunday, March 07, 2010

Ein letzter Sommer - Steve Tesich

Der andere von den beiden einzigen Romanen dieses großartigen Schriftstellers. Die Schule ist vorbei, Freunde leben sich auseinander, wollen raus, müssen plötzlich an die Zukunft denken usw. Da verliebt sich ein junger Mann rasend in ein schönes Mädchen, das etwas seltsam ist und unberechenbar, nie ganz ehrlich, was ihn zur Verzweiflung treibt. Böse ist sie nicht, nur selber etwas verwirrt und zerrissen, mit gutem Grund, wie sich nachher zeigt. Zur selben Zeit stirbt der Vater und die Eltern deklinieren von der andere Seite her das Thema Liebe durch. Es kommt zum wahrscheinlich schönsten Liebestod, der jemals in der Literatur gestorben wurde.

Glanzlichter:
  • Tesichs unglaubliche Kunst, diese einfachen, schon 1000 mal gehörten Umstände in jeder Szene frisch und spannend zu erzählen.
  • Die dichte Atmosphäre; Melancholie plus Humor.
  • Tolle Besetzung bis in die Nebenfiguren.
  • Die jugoslawische Mutter ist eine der stärksten Mütter, von denen ich in neuen Romane gelesen habe.
  • Die Szene, als dem todkranken Vater bei einem Spaziergang ein Hündchen auf den Schoß springt und der Erzähler ihn zum ersten Mal in seinem Leben glücklich sieht.
  • Die schauderhafte Kälte mitten im Sommer, mit der der Tod in die Stadt einrückt.

Friday, February 26, 2010

Pnin - Nabokov

Pnin mal wieder. Bei Nabokov macht jeder einzelne Satz Spaß. Für mich der größte Stilist des 20. Jahrhunderts.

Sah eine sehr schöne Ausgabe seines zuvor nicht veröffentlichten Romanfragments. Nur einzelne Versatzstücke auf Karteikarten. Unwiderstehlich reizvoll.

Alle, alle lieben dich - Stewart O'Nan

Wieder ein schönes O'Nan-Buch, eines von denen, die man kaum aushält.

Die gerade erwachsene Tochter Larsens kommt eines abends nicht nach Hause. Es gab nie einen Hinweis, dass sie abhauen wollte. Also können alle nur das schlimmste erwarten. Damit beginnt das Martyrium der Hinterbliebenen zwischen Hoffen und Verzweifeln.

Das aber dauert lange. Die Menschen verändern sich. Mutter, Schwester, Freunde müssen mit ihrem eigenen Leben weitermachen. Über ihnen schwebt ein Schatten.

Wahnsinn ist die unglaubliche, fast greifbare Präsenz der Verlorenen, obwohl sie nur im ersten Kapitel auftritt.

Fast dokumentarisch schildert O'Nan das alles, ganz genau, ganz fein. Manchmal verschlägt es einem den Atem.

Sunday, February 14, 2010

Bernhard-Unseld-Briefwechsel

Sehr schönes Hörbuch, brillant gelesen von Peter Simonischeck und Gerd Voss. Ein Kurs in knallharter Verhandlungstaktik in Sachen Literatur. Habe natürlich gleich wieder ein Bernhard-Buch zur Hand genommen, gibt ja noch genug ungelesene. Verstörung.

Und Bernhard-Filme auf YouTube angeschaut. Er ist der YouTube-Autor, von keinem anderen gibt es so viel im Netz. Obwohl sich andere bestimmt viel lieber und öfter haben filmen lassen.

Er steht alleine. Nach wie vor.

Friday, February 05, 2010

Die Wohlgesinnten - Jonathan Littell

Ein Monster von einem Buch. Allein der Umfang. Dann die Themen: Holocaust, Stalingrad, SS, Psychopathologie.

Liest man es gerne? Vieles widerstrebt einem. Aber die ästhetische Herausforderung ist enorm. Funktioniert diese Perspektive, die Täterperspektive im Dritten Reich, der SS-Mann als Ich-Erzähler auf Du-und-Du mit dem Leser?

Was geht hier vor? Nichts anderes, als die Stoffwerdung des Holocausts für die Literatur. Bei allem davor war die epische Distanz ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber dann ist auch wieder von allem zu viel. Aue ist einfach überall dabei gewesen und kommt immer mit heiler Haut davon. Überhaupt: Alle ein fiktionalen Elemente stören. Das fängt an bei der unseligen Psychopathenstory, geht weiter mit den endlosen, die Lesernerven strapazierenden Pornofantasien und endet mit diesem trotteligen Polizistenpaar. Was diesem eher schwachen Aue alles aufgeladen ist, ist einfach zu viel des Guten und vor allem des Üblen. Die Opfer bleiben nur Schemen hinter all dem, was wahrscheinlich beabsichtigt ist.

Das Air-Kapitel ist bodenlos, man klappt das Buch nur deshlab nicht zu, weil es so weit hinten kommt und man jetzt den Rest auch noch lesen will.

Froh, es fertig zu haben. Einen Lesemonat damit verbracht. Verschwendet?

Philip Roth - Exit Ghost

Der letzte Zuckerman also. Sehr schön, das Wiedersehen mit Lonoff und Amy. Auch die Gedanken zur radikalen Zurückgezogenheit.

Aber alles doch merkwürdig substanzarm. Ein Kammerstück mit Anlagen für mehr: Was passiert mit Amy, was war mit Amy zuvor geschehen? Wie geht es mit dem Schriftsteller-Ehepaar weiter, das den Wohnungstausch mit Zuckerman will? All das scheint wie eine schöne Exposition, die aber dann nicht ausgeführt wird. Stattdessen die quälenden künstlichen Dialogeinspengsel.

Schade. Exit Ghost eben.

Tuesday, February 02, 2010

Oskar

Sterbebegleitung auf's sanfteste. Pflegeheim-Kater Oskar spürt, wenn sich ein Patient auf die letzte Reise macht, so das "New England Journal of Medicine."Todesengel auf Samtpfoten
Gesellt sich der Klinikkater zu einem Patienten, steht dessen Tod unmittelbar bevor - meist stirbt der Betroffene binnen vier Stunden. Das Tier "riecht" den Tod, also die von Kranken abgesonderten Pheromone oder Gerüche.

Angehörige schätzten den Kater vor allem als sanften Begleiter in den letzten Stunden und weniger als schlechtes Omen. Inzwischen ist "Oscar" weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Ihn lässt die wachsende Aufmerksamkeit jedoch unberührt. Der Kater sitzt nach wie vor am liebsten am Fenster - allein.

Saturday, January 16, 2010

Drood - Dan Simmons


Ätzende Freundschaft

Als knapp 30 Stunden dauerndes Hörbuch, das ich von der ersten bis zur letzten Sekunde abgelaufen bin.

Gleich nach seinem Erscheinen habe ich mich mehrmals im Buchladen kaum zurückhalten können. Dan Simmons plus Charles Dickens erzählt von Wilkie Collins. Ich hätte es mir zu Weihnachten schenken lassen. Aber dann hat es Audible per E-Mail-Werbung annonciert und ich habe es mir auf der Stelle gekauft und heruntergeladen. Da sage einer noch, E-Mail-Marketing würde nicht funktionieren.

Um was geht es in dem knapp 1000-Seiten-Buch: Wilkie Collins erzählt von seiner Freundschaft und Feindschaft von Charles Dickens in dessen letzten fünf Lebensjahren. Das Geschehen beginnt mit einem Zugunglück, bei dem Dickens auf eine unheimliche Gestalt trifft. Es handelt sich um Drood, eine Mischung aus Todesengel, ägyptischer Mumie, Rächer der Entrechteten und Serienkiller. Fortan ist erst Dickens, dann Collins wie besessen von Drood, der wie eine Schimäre durch den Roman wandelt.

Eine ganze Fülle an Themen spielt der Roman durch: Die sozialen Zuständen der viktorianischen Epoche, Drogen, literarische Inspiration, koptische Kulte, Mesmerismus, Magnetismus, die literarische Szene, Vortrags- und Theaterkunst, die Poetiken Collins und Dickens, Verlagswesen, Domestiken, Moralgeschichte und vieles andere. Lauter Themen, mit denen man jeden Literaturmenschen sofort auf seiner Seite hat. Denn wir lieben die viktorianische Epoche!

Rivalen bis in die Ätzkalkgrube
Wichtigstes Motiv des Buches ist die Freundschaft zwischen Dickens und dem Erzähler, eine Freundschaft, aus der Rivalität und schließlich Hass wird. Wie komisch, wie geistreich, dieses Wettschreiben der beiden um die Gunst des Publikums und die sublimen Spitzen, mit der sich die Gentleman piesacken! Für mich ist das wichtigste und schönste an diesem Schmöker.

Dann ist da dieser Kosmos an Randfiguren, die das Roman-London bevölkern: Düsterlinge wie Drood und die Vetreter der Opiumhöhlen im Untergrund Londons; die glücklosen, aber hartnäckigen Gesetzeshüter Fields, Hattches und Barrester; die Frauen rund um Collins und Dickens; die Literaten-, Agenten- und Schauspielerblase rund um Dickens. Der Bestatter von Rochester ist eine echte Shakespeare-Gestalt.

Der Erzähler ist der Böse
Und natürlich lebt der Roman von der Figur des Erzählers. Simmons' Porträt von Wilkie Collins ist ziemlich böse: Ein opiumsüchtiger Literat, feige, arrogant, manchmal liebenswürdig, jedenfalls skrupellos. Es ist eben so schwer, ihn zu mögen, wie ihn nicht zu mögen. Als er die Tochter seiner Dienstboten auf eiskalte Art und Weise aus dem Weg schafft, hasst man ihn tatsächlich und wünscht ihm das Übelste. Dabei hält er sich die ganze Zeit für einen Gentleman. Es sind ja die besten Bösewichte, die sich selbst nicht dafür halten.

Dann: die Orte. Wohligste Schauerlokationen - Opiumhöhlen, bewohnte Kanäle und Katakomben, Herrenhäuser, auf deren düsteren Hintertreppen gemordet und umgegangen wird.

Und als Dreingabe gibt es massenhaft Literaturgeschichte. Über Dickens und Collins weiß man nach der Lektüre einiges mehr. Man hat auch nicht üble Lust , selbst mal wieder einen Dickens-Band zur Hand zu nehmen.

Ich habe fast jede Minute des Buches genossen. Wirklich ein starkes Buch.

Hier übrigens noch eine tolles Bild dazu von Simmons Illustrator John Picacio.

Monday, January 11, 2010

Die Straße - McCarthy

Soll eines der besten Bücher des vergangenen Jahrzehnts sein. Die Atmosphäre ist natürlich großartig - eine düstere Landschaft wie aus dem Byron-Gedicht, ein Mann und sein Sohn allein auf der Straße auf dem Weg ins Ungewisse, ohne Hoffnung. Kein Mensch mehr weit und breit und wenn doch, dann ist er ein Menschenfresser, krank werden sie, das Essen geht ihnen aus, es schneit, es ist nass, es ist kalt, das Elend nimmt kein Ende.

Und am Ende Tod und Rettung, oder so etwas ähnliches oder beides.

Wie gesagt, alles großartig. Doch ein paar Fragezeichen gibt es: Manchmal finden sie einen relativ behaglichen Unterschlupf. Und bleiben nicht da. Es gibt eigentlich keinen Grund, immer wieder aufzubrechen.

Am Schluss stellt sich heraus, dass sie von einer anderen Gruppe verfolgt werden, die ihnen nichts Böses wollen, sie vielmehr schon lange suchen. Warum weiß keiner was davon?

Irgendwie alles gleichnishaft. Aber man will es nicht auflösen.

Nach der Lektüre sehnt man sich nach etwas Hellem. Vielleicht einen Roman von David Lodge.

Im Zeichen des Sieges - oder so Bernard Cornwell

Wieder ein solider Cornwell. Allerdings ist die Erzähldichte nicht so groß, wie bei den Arthus-Büchern. Was wohl an dessen einmaligen Erzähler-Medium liegt.