Friday, October 08, 2010

"Indessen will die Stehparty nicht enden." Die Rättin - Günter Grass



Lektürenotizen zur Rättin

80er Jahre. Müllberge, Waldsterben, Angst vor der Atomvernichtung, Punks. Ist das aber veraltet, weil so zeitgebunden? Stirbt der Wald jetzt eigentlich nicht mehr. Man würde wohl annehmen, dass nicht mehr so sehr. Mit unruhigem Gewissen.

Stark das Bemühen um Bildhaftigkeit der Prosa. Zu Lasten der Handlung? Ach, was ist Handlung? Eher auf Kosten der Figuren. Bislang ist die Ratte noch die profilierteste.

Gefühl, dass das alles ins Leere läuft, eine leitende Struktur schwer erkennbar. OK, der Erzähler ist ein neuer Johannes von Patmos, der von der ihm durch die Rättin bebilderte Appkalypse erzählt. Da wird dann wohl eine breite Chronik des Untergangs entfaltet (Zeichen, Verleugnungen, Mahnungen, Warnungen, Panik, Resignation, faktisches Untergehen). Aber was soll der Film? Was die Frauenfraktion auf dem Kahn? Hänsel und Gretel, die Überladenen Punks und Kanzlerkinder?

Bei Grass immer: die Atmosphäre des Kräftig-Deftig-Kreativen. Kartoffeln, Zwiebeln, Spätäpfel, Quark und Heringe.

Ist das Absicht: Erst waren die dressierten Labormäuse die Verursacher des Atomkriegs, dann doch die Ratten selbst, nur ein Kapitel später. Was hätten die davon?

Reich an Ideen, Mangel an Identifikation. Es muss ja jetzt nicht der Held sein. Aber etwas menschliche Nähe täte gut.

Manchmal auch sehr öde, etwa die Geburtstagsfeier. Auf Video gebanntes auf der Stelle Treten. Bei allem immer viel zu viele Figuren (keine Personen, keine Charaktere), die herumstehen. Überraschungen kommen so träge daher, wie die Schnecken, die die Wörterbücher heranschleppen.

Laut gelesen gewinnt der Text. Die Sprache eines Bildhauers: selten im Fluss, brockenweise bildhaft.

Rübezahl klaftert das Holz "wütig." Manier oder Genauigkeit?

Umständlichkeit, die anödet. Zu viele ununterscheidbare Frauen auf dem Schiff mit zu viel behängt, zu viele Geburtstagsgäste mit zu vielen Geschenken, zu viele Märchenfiguren mit zu wenig echten Aufgaben. Das muss dann in jedem Kapitel wieder bewegt, ermüdend von einer Ecke in die andere gehievt werden. Quält den Leser, der immer weiter will.

Manchmal benennt der Erzähler die Mankos des Texts selbst. Steilvorlagen für Rezensenten: "Ich träume neuerdings Wiederholungen und Varianten" oder "Indessen will die Stehparty nicht enden".

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