Saturday, July 07, 2018

Mo Yan - Wie das Blatt sich wendet


Memoiren können auch kurz sein. Mo Yan braucht in „Wie das Blatt sich wendet“ gerade mal hundert Seiten. Was er erzählt ist beachtlich: Ein armer, etwas renitenter Bauernsohn schafft den Aufstieg zu einem Weltschriftsteller und Nobelpreisträger.


Mo Yans Sprache ist dabei nicht elegant, sondern grobschlächtig, was aber zur Herkunft passt. So spart er beispielsweise nicht mit Ausrufezeichen oder verwendet Adjektive wie positive (Pläne) und ungenaue Klischees aus der Umgangssprache, so etwa, wenn ein Blechorchester volles Rohr trommelt. Aber warum sollte ein Bauernjunge aus der tiefsten chinesischen Provinz wie ein Schöngeist klingen? Fast klingt es wie Absicht. Oder es liegt an der Übersetzung.

Was Mo Yan erzählt, ist interessant, weil es ein Zeugnis aus einer uns ganz unbekannten Welt liefert. In den 70er Jahren erholt sich China langsam von Mao. Es gibt wieder Gemüse in Läden, geteerte Straßen, Studienplätze. Mo Yan sagt es nicht laut, ordnet seinen Stoff aber so an, dass der Leser selbst den Schluss zieht. Nach Mao ging es China besser.

Welche Aussichten es zuvor gab, beschreibt der Vater Yans:

„Solche Mutmaßungen haben keinen Sinn. Unsere Familie ist so, wie sie ist. Du siehst es doch selbst. Wenn du wieder in der Truppe bist, streng dich an. Drück dich nicht vor harten arbeiten. Menschen sterben an Krankheiten. Von der Arbeit wird man zwar müde, aber davon ist noch keiner gestorben! Wenn du dich nicht scheuest, mit voller Kraft ans Werk zugehen, wird es dein leitender Kader früher oder später bemerken. Und wenn es keine Aussicht auf Beförderung gibt und auch aus dem Lkw-Fahren nichts wird, dann streng dich an, damit du Parteimitglied werden kannst. Junge, dein Vater hat der kommunistischen Partei sein ganzes Leben treu gedient. Ich habe immer davon geträumt, Partei Mitglied zu werden. Aber ich habe es nicht geschafft. Jetzt seid ihr Kinder meine Hoffnung, denn ich werde an meinem Lebenslauf nichts mehr ändern können. Wenn du Partei Mitglied geworden bist und man sich dann demobilisiert, ist es zumindest so, dass ich, wenn du wieder nach Hause kommst, stolz auf dich sein werde!“

Wie wird aus einem Menschen, dessen größter Traum es ist, einmal die Ruine eines alten Sowjet-LKWs fahren zu dürfen, ein völlig aussichtsloser Traum übrigens, der Nobelpreisträger für Literatur?

Eigentlich erfährt man es nicht. Mo Yan unterrichtet, steigt in der militärischen Fortbildung ein wenig auf, verschickt Geschichten, die irgendwann genommen werden, dann kommt der Durchbruch mit einem Roman etc. pp. Sehr glatt das alles.

Den Studentenunruhen widmet er drei Sätze:

„Aber es dauerte nicht lange, und die Studentenunruhen begannen. Die Lage spitzte sich zu. Niemand hatte den Kopf mehr frei für den Unterricht.“

Aus irgendeinem Grund scheint er dann doch seinen Studienplatz zu verlieren, was aber alles sehr harmlos klingt („Als ich zurück war, beredete mich ein leitender Kader, ich solle mich freiwillig exmatrikulieren“). Aber er bekommt ihn dann auch gleich wieder zurück.

Ein seltsamer Geist weht einem aus dem Buch an. Mo Yan zählt bald zum Establishment und scheint seine Macht zu genießen. Ein Schulfreund, ein Selfmademan, dem er Geld geliehen hatte, prahlt mit seinem halblegalem Aufstieg, jeder denkt nur an Geld und weiterkommen. Am Ende erhält Kulturkader Mo Yan  Besuch von der Jugendliebe, die der Antrieb für dieses Memoire zu sein scheint. Ihre Tochter will eine Rolle in einer Oper, Mo Yan kann sie beschaffen. Bestechungsgeld gibt es auch, er nimmt es, gnädigerweise.

Obwohl Wie das Blatt sich wendet interessant war, macht es keine rechte Lust auf weitere Bücher von Mo Yan. Von der Sprache ist nicht viel zu erwarten. Ton und geistige Haltung sind eher fremd.

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