Saturday, November 07, 2015

Gerhard Köpf - Innerfern. Das Allgäu als literarische Landschaft

Gerhard Köpf - Innerfern. Literaturlandschaft Allgäu
Innerfern von Gerhard Köpf steckt schon eine Weile in meinem Tolino, und zwar in dieser sehr schönen Ausgabe von CulturBooks. Der schroffe Anfang hat mich bis jetzt nur im Vorhof der Erzählung herumlungern lassen. Ich vermutete ja, dass darin etwas zu finden sei - interessante Figuren, ein besonderer Ton, das Allgäu vielleicht sogar als literarische Landschaft.

Gerhard Köpf - Allgäuer Autor
Vielleicht zuvor ein paar Worte zu Gerhard Köpf. Ich habe ihn sogar einmal bei einer Lesung in Mindelheim erlebt. Damals hat er aus Piranesis Traum gelesen. Ich erinnere mich wage an die Diskussion. Ich glaube, ich habe ihn sogar irgendetwas sehr Törrichtes gefragt. Warum er denn einen Stoff gewählt habe, der so wenig Raum für Engagement lasse, oder etwas ähnliches. Jedenfalls war er sehr freundlich und hatte einen langen Professorenbart. Das muss 1992 gewesen sein. Gelsen hatte ich noch nichts von ihm. Erst ein Jahr später kam sein Buch Papas Koffer heraus, ein Buch über eine Hemingway-Leidenschaft, das habe ich natürlich gelesen, obwohl die Kritiken nicht der Hit waren (u.a. gab es einen Verriss im Literarischen Quartett). Ich glaube aber, ich habe es damals recht gerne gelesen. 


Danach habe ich ehrlich gesagt nicht mehr viel von ihm gehört. Eher zufällig bin ich auf die schöne CulturBook-Ausgabe gestoßen - und hab mich da wohl von der Beschreibung auf der Website verführen lassen, es zu kaufen. Vielleicht auch, weil die Bücher bei CulturBooks wirklich etwas hermachen - die E-Books wohlgemerkt. Haben etwas von dem schlichten Charme der Suhrkamp-Reihe früher.

"Debüt eines großen Geschichtenerzählers"
So heißt es auf der Website, zitiert wird da ein gewisser Klaus Hübner. Um was geht es? Nun, es ist Fastnacht irgendwo in Schwaben, eine verwahrloste Frau benimmt sich auffällig und kommt in die Psychiatrie. Der Psychiaterin Dr. Mazzolini fällt die Frau auf, sie weiß sehr interessant und schön, dabei dunkel und wirr, zu erzählen, vor allem über Masken, Eis, Indianer, Eskimos. Parallel dazu schildert ein Erzähler ein herrlich verschneites Wochenende bei einer Künstlerin namens Karlina Piloti, eine Art Initiationsreise in Sachen Kunst und Literatur. Natürlich sind die beiden Frauen identisch.

Es geht mal wieder um den Künstler, der in der Gesellschaft immer ein Fremder und Sonderling bleibt und an diesem Konflikt buchstäblich zerbricht. Ein altes Thema, E.T.A. Hoffmann, Kafka und viele, viele andere haben es in den Mittelpunkt ihrer Geschichten gestellt. Thomas Manns Tonio Kröger ist die Schablone dafür, die fast jeder kennt. 

Das ist auch noch kein Grund, das Buch gut zu finden. Da gibt es andere, genau genommen mindestens drei: die assoziativ-poetische Sprache, eine seltsam anrührende Heilsbotschaft und - vor allem - die magisch-realistische Landschaft, und dort vor allem die Schutzhütte der Piloti am See. 

Die Sprache
Poetisch aufgeladen, kann man die Sprache nennen. "Der Schnee fällt wie im Kino" - so weit alles gut, konventionell, dann: "Ihr Blick ist dabei so starr, als könne man durch ihn hindurchsteigen." Man muss genau hinsehen, damit einen diese interessanten Bilder auffallen. Es gibt einige davon. 

Solange wir erzählen sind wir unsterblich
Auffallend ist auch, dass der Text immer wieder mit eindringlichen Heilsbotschaften durchwoben ist. Gesellschaftlichen Statements sind darunter ("Das Geschäft des Faulenzers aber wider das Ertragsdenken heißt Absichtslosigkeit: Pfahl im Fleische des Tüchtigen, Gegenbeweis hektischer Betriebsamkeit."), Meditatives ("Oft gehe sie in der Nacht spazieren ... Spielend lege sie zwanzig Kilometer und mehr zurück. Sie berausche sich an der Überwindung der Entfernung. Natürlich alles zu Fuß."), Erzählen als Stärkungsmittel der Seele (über den erzählenden Großvater: "Seine Wunder sind wärmende Verstecke, die meine Ungeduld in Mut und Zuversicht verwandeln."), oder Trostreiches ("...nichts ist entschieden, und nichts geht verloren. Alles kann wiedergefunden werden, solange Trost und Kraft reichen und unsere Sehnsucht ungehemmt begehrt.")

Die Landschaft
Was mir besonders gefallen hat, waren die Spuren des magischen Realismus. Das Allgäu erscheint hier mystische Landschaft. Fabelwesen können plötzlich erscheinen, Orte werden durchlässig für eine andere, märchenhafte Welt. Das Haus, die Villa der Piloti ist
der Ort, an den einer erst gelangt, wenn er verschwunden ist, ohne jemals gestorben zu sein: ein Wolkenhaus mit windschiefen Zimmern, aus dem Spinnwebvorhänge wehen.
Von der Art gibt es einige Stellen im Text.

Die Lektüre hat sich auf jeden Fall gelohnt. Allerdings muss man sich auf den Text einlassen. Schnellem Lesen sperrt der Text sich. Wer die Bildwelt aber auf sich wirken lässt, der wird immer wieder zwischen die Zeilen "hindurchsteigen." Und eine magische Landschaft erahnen dürfen, die hinter unserer Alltagswelt ausharrt.


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