Thursday, March 24, 2005

Doktor Faustus

Den Doktor Faustus empfahl mir ein Deutschlehrer in der 10. Klasse, den ich um Lesetipps bat. Ich hatte ihm meine Vorlieben mit „unheimliche“ Romane mit „Schauerelementen“ mehr oder weniger deutlich charakterisiert. Ich nehme mal an, dass er selber das Buch nie gelesen hatte, aber wusste, dass darin der Teufel vorkam. Ich besorgte mir das Buch in dieser weichen, enggedruckten Taschenbuchausgabe mit dem vergilbten Papier und einem grüblerischen, bärtigen Intellektuellen auf dem Cover. Bei meinem ersten Versuch kam ich ungefähr bis auf Seite 80. Kein Teufel, kein gar nichts. Irgendwie interessant, dieser Leverkühn, aber im Großen und Ganzen nichts für einen 16-Jährigen, dessen Lesesozialisation bislang hauptsächlich durch die Romane von Karl May, Stephen King und allenfalls Ernest Hemmingway vonstatten gegangen war. Aber das Buch blieb bei mir. Nicht zuletzt die Aufmachung gefiel mir und passte zum Image eines einzelgängerischen Intellektuellen. Außerdem war ich mir sicher, dass es ungeahnte Reize und Geheimnisse barg, die ich schon noch ergründen würde. Jedoch, andere Bücher von Thomas Mann kamen früher: Tonio Kröger, Der Zauberberg, Buddenbrooks und viele Erzählungen. Den Faustus las ich zum ersten Mal unglücklich verliebt als Zivildienstleistender während eines langen heißen Sommers am Stanberger See . Ich las ihn folglich als schwerblütige Liebesgeschichte und bezog alles – Kälte, Kunst und Liebesverbot – auf mich und meine Situation. Außerdem fing ich natürlich an, meine Kollegen nächtelang mit Wagner und Beethoven zu nerven...Ich las das Buch ganz langsam, versuchte zu verstehen und wo ich nichts verstand, bildete ich mir wenigstens ein, zu ahnen. Wahrscheinlich lag es an der Konstellation: Sommer, Verliebtheit und aufkeimende Lust am Denken, die den Faustus so zu meinem Buch werden ließen... Ich las es noch mehrmals, schrieb Seminararbeiten darüber, wurde sogar über das Buch geprüft. All das hat es mir nicht verleidet. Und als ich dann später selbst Geld verdiente, leistete ich mir die 20 Kasetten-Lesung von Gerd Westphal. Seither höre ich sie ein Mal im Jahr, meist beim Spazierengehen im Frühling. Ich ertappe mich dabei, wie ich ganze Passagen auswendig mitsprechen kann...Übrigens ging mir meine so geschätzte Taschenbuchausgabe schon vor Jahren bei einem Umzug verloren. Ich habe den Faustus natürlich mittlerweile in einer gebundenen Fassung. Trotzdem hoffe ich, jenem weichen, weißen Büchlein mit dem vergilbten Papier und dem Grübler auf dem Cover irgendwann auf einem Flohmarkt oder in einer Kruschtelkiste eines Antiquariats wiederzubegegnen...

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