Monday, September 22, 2014

Karl Ove Knausgård - Sterben


Nach vielen Vorschusslorbeeren wie immer erst mal beiseite gelassen. So ist das mit den guten Büchern, ihre Zeit kommt irgendwann. Es kann durchaus sein, dass es einige Anläufe braucht, aber die wirklich guten werden dann auch gelesen.

Knausgårds Buch ist genau genommen gar kein Roman, sondern ein Stück radikaler Autobiographie. Erzählt das Verhältnis zu dem Vater Knausgårds, welche Distanz, Kälte, Angst etc. mit der Figur des Vaters verbunden waren, und wie sich das bis in zu dessen Sterben gehalten hat. Erst nach dem Tod kommt tatsächlich etwas auf, Nähe kann man es nicht nennen, Verständnis auch nicht, am ehesten vielleicht allgemein Bewusstsein für die Problematik von dessen Existenz.

Die Handlung ist nebensächlich, lässt sich auch gar nicht so leicht zusammenfassen. Im ersten von zwei Teilen erzählt Knausgård von seiner Kindheit, die er in der Nähe dieses Vaters verbringt, sein Aufwachsen mit Mädchen, Musik, Träumen, Fußball, erstem Rausch und so weiter. Trotz des schwierigen Verhältnisses zum Vater, scheint der Erzähler in dieser Jugend glücklich, euphorisiert von den Möglichkeiten des Lebens.

Der Vater ist immer als knorriger Schatten präsent, verliert aber bald etwas von seiner Gefährlichkeit, eine irrationale, fast unheimliche Veränderungen vollzieht sich an ihm. Durch den bürgerlichen und strengen Familienmann bricht eine andere, tiefere Identität durch, er verlässt die Frau, kleidet sich seltsamer, beginnt zu trinken. Einmal kommt Knausgård nach Hause, unangemeldet, und trifft seinen Vater an, wie er ein sentimentales Lied mit voller Lautstärke hört und dabei in Tränen aufgelöst mitsingt ist. Er schleicht sich davon, nichts wäre schlimmer, als von seinem Vater dabei ertappt zu werden, wie er ihn ertappt.

Dann der zweite Teil, Knausgård erfährt vom Tod des Vaters, fährt mit seinem Bruder in das Haus der Großmutter und erlebt, wie sich die Existenz seines Vaters in den letzten Jahren in eine wahre Hölle verwandelt hat. Als schwerer Trinker hatte er sich bei seiner Mutter verbarrikadiert und ein furchtbar einsames Messileben geführt.

Es ist das ein oder andere Mal in Rezensionen davon geschrieben worden, dass das Buch formlos sei. Aber das stimmt nicht. Die Form ergibt sich aus dem Vorher-Nachher dieser beiden Teile. Es ist wie ein Bild mit sehr vielen Details, das erst in einem hellen, klaren, kalten Licht gezeigt wird, dann aber aus in einem dunklen, bedrohlichen, dabei ebenfalls sehr kalten.

Auch wurde Knausgård angekreidet, sich zu sehr in Details zu verlieren. Tatsächlich schildert er scheinbar banale Vorgänge und Hantierungen übergenau. Der Tee wird nicht nur gekocht, sondern das Wasser zum Sieden gebracht, bis es sprudelt, dann Teebeutel eingelegt, bis sich das Wasser verfärbt etc. Und das fast bei allen Vorgängen: Autofahren, Zigaretten drehen, auf den Bus warten, zum Kiosk gehen, dort bezahlen, das Wechselgeld nicht in die Hand gezählt zu bekommen etc. Natürlich ist das nicht ökonomisch, aber das ist sein Stil, es geht bei ihm tatsächlich darum, sich Wirklichkeit zu erschreiben, durchzubrechen zum Authentischen, das in unserem Alltag ständig von einem Firnis auf Gedanken, Vorannahmen, Geistigem überlagert wird. Das ist fast eine Art Programm.

Am krassesten ist dieser Überlagerung vielleicht beim Thema Tod und Sterben. Allerdings erweist sich der Tod immer als mächtiger, als die Hülle, in der wir unsere Welt decken, die wir vermutlich brauchen, um überleben zu können. Erst mit dem Sterben reißt die Leinwand.

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