Friday, November 01, 2013

Ilse Helbich - Grenzland Zwischenland




Ganz erstaunliches Buch einer schon sehr alten Autorin, geboren 1923. Es geht um die hautnahe Erfahrung des Alterns sozusagen auf der letzten Meile und die Vorbereitung auf das Sterben, vielleicht schon das Sterben selbst. Das ganze aber sehr kühl, ohne Larmoyanz oder Sentimentalität, einfach die Beschreibung von Vorgängen durch ein reflektierendes, poetisches Bewusstsein. Dabei immer wieder Beschreibungen von anrührender Schönheit. Zum Beispiel sitzt die Erzählerin bei einem Aufenthalt in Davos, ihre Tochter liegt im nahen Sanatorium, wahrscheinlich stirbt sie, in der Totenkapelle und betrachtet das Fresko, auf welchem die Toten, gesehen von den noch Lebenden in eine paradiesleuchtende Leere eingehen. Sie erscheinen überlebensgroß, wenden sich nicht um. Und hier dann das entscheidende Detail:
Die Fußsohlen der Fortgehenden leuchten jedoch schon in einem goldenen Schimmern. 
Grenzland Zwischenland - ErkundungenVon Leuchtspuren dieser Art ist das ganze Buch durchwoben, während es zugleich schonungslos die Mühen der schwindenden Lebenskraft vor Augen führt: Die Augen geben keine vollständigen Bilder mehr, der Körper ist müde, fällt häufig, eckt überall an, Zähne fallen aus, Namen verblassen aus dem Gedächtnis. Bei all dem gibt es aber immer noch einen leisen Antrieb, der sich als die vitalste Ressource dieses Lebens erweist: das Schreiben.

Dem Verfall steht auf der anderen Seite eben diese unglaubliche Hellsichtigkeit gegenüber, die häufig schon etwas jenseitiges hat. Das sind Erfahrungen, die Ilse Helbich buchstäblich aus dem Grenzland Zwischenland birgt und vor uns hinstellt. Über Musikhören sagt sie zum Beispiel an einer Stelle:

Jetzt eine Musik anders hören. Sie anhören, als würde sie in diesem Augenblick geboren, und zwar aus mir. Dabei die Verfassung des sie zur Welt Bringenden deutlich mitfühlen, ohne Sentimentalität und nicht sich einfühlend in einen anderen, sondern selber in der Verfasstheit des die Musik von Augenblick zu Augenblick Gebärenden.
Und gleich danach beschreibt sie diesen Antrieb des Gestaltenden ganz explizit:
Vor dem Anblick einer Landschaft fallen mir oft Bilder ein, als Möglichkeit, wie einer das malen könnte, und jedes dieser Bilder ist ein Versuch, die quälende Unbeschreibbarkeit des Umgebenden, sein Da-sein, sein bloßes, eigenschaftsloses Da-sein durch die eigene bestimmte Sehensweise in den Griff zu bekommen.
Eine sehr starke Erfahrung, dieses Buch.

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