Monday, November 23, 2009

Schrei nicht so laut - John Harvey


Der Kriminalroman als zeitgenössische Form des Sozialdramas

Sozialdrama. Das klingt nach etwas Langweiligem. Nach Schule, Psychologie, Sozialpädagogik at it's worst.

Habe das Buch nach 20 Seiten weggelegt.

Dann, nach zwei Tagen weitergelesen.

Sozialdrama. Das ist ist die Form, in der wir uns am besten wiedererkennen. Hier werden uns Spiegelbilder, Rollenmuster, Bioografien und Konflikte geboten, die wir nachvollziehen können, die wir empathisch miterleben dürfen, in denen wir uns auch zu einem Teil ausleben können.

Schrei nicht so laut ist so ein Sozialdrama. Völlig unaufgeregt werden hier Lebensläufe aneinandergereiht, die mitten aus dem Leben gegriffen scheinen.

Ok, manchmal wirkt es etwas überzogen. Der Büchnersche Determinismus, der in den Tätern
am Wirken ist, scheint manchmal etwas konstruiert.

Konstruiert in dem Sinne, dass man hier Eigenschaften und Merkmale einer sozialen Umwelt häuft, von denen der Autor annimmt, dass sie das Verhalten der Killer - zu einem gewissen Grad jedenfalls - erklären können.

Aber dann sollte man sich vor Augen halten: Es ist eben doch ein Roman. Und ein Roman als eine Form der Unterhaltungskunst will wirken. Daher die Häufungen.

Killer entromantisiert
Und es ist ja gar nicht unbedingt der Killer, mit dem wir uns hier identifizieren wollen. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, hier ist der Serienkiller entromantisiert. Das tut gut angesichts des Kultes der ja oft um ihn getrieben wird.

Nein, es sind die normalen Menschen, das Drama des Alltags, das seine nachhallende Wirkung hinterlässt.

Die Ehe des Ermittlers zum Beispiel, von der man eigentlich gar nicht sagen kann, woran sie kaputt gegangen ist.

Die Versuche der Menschen in mittleren Jahren, in ihrer eingerichteten Welt zurecht zu kommen. Die Leere, von der sie umgeben sind. Die Strategien, die sie dagegen aufwarten.

die Leere
Der Ermittler zum Beispiel liest Bücher. Das hat man als Leser gerne, denn es ist ja die eigene Strategie. Aber er liest sie ohne Ambition. Sein einziges Motiv: Er will damit die Leere überbrücken, die lange Zeit füllen.

Aber das ist nicht alles, was er tut. Er sorgt auch für Gerechtigkeit. Er schafft das, indem er nicht locker lässt. Indem er unbequeme Wege zu Ende geht. Das ist das andere. Das eigentliche Gegenstück, gegen die Leere.

Warum das Buch gut ist?
  • Weil es das Drama des normalen Menschen wiedergibt, ganz unaufgeregt, nüchtern.
  • Weil es sich am Ende auflöst, es die Erholung der Seele vom Dauerkonflik des Daseins erlaubt.
  • Weil jeder Figur Raum gelassen wird, ihre Art und Weise zu rechtfertigen, mit dem Drama fertig zu werden.
  • Weil es eine solide Moral liefert, ohne sie zu predigen.
  • Weil all diese Ambitionen ohne Prunk serviert werden.
  • Weil es den x-te Typus des einsamen, gescheiterten Detektives auffährt. Es funktioniert wieder, es untermauert den modernen Mythos.
  • Die Hauptfigur liest Dickens und antwortet auf die Frage, warum er die (gerade) langweilige Lektüre nicht abbreche, er könne einfach die Dinge nicht auf sich beruhen lassen.

Ich weiß nicht, ob ich noch viele Romane von JohnHarvey lesen werde. Schließlich gibt es noch so viele andere, aufregendere Versuche, dem Drama Existenz beizukommen.

Aber: Nach der Lektüre habe ich mich tatsächlich etwas beim nachdenklich sein ertappt. Das geschieht nicht oft. Schließlich ist man ein erfahrener Leser. Geneigt dazu, die Sachen schnell abzutun.

Das hier kam noch mal zurück. Durch die Hintertür. Sozialdrama.

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