Friday, September 27, 2019

Patricia Duncker - Die Germanistin

Vielleicht ist das Buch aus dem Impuls heraus entstanden, Gedanken und schöne Schwärmereien rund um Literatur in ein Stück Fiktionshandwerk einzubetten. Irgendwo lässt sie den sagenumwobenden Schriftsteller sagen:
Ich stelle die gleichen Anforderungen an Menschen und fiktionale Texte, petit - daß sie offen enden, daß sie in sich eine Möglichkeit zu sein enthalten, und diejenigen zu verändern vermögen, denen sie begegnen. Dann funktioniert etwas - die notwendige Dynamik - zwischen dem Autor und dem Leser.
Das ist zwar ein schöner Gedanke, klingt aber, trotz leisem Gesäusel, petit, nach Seminar. Der Geruch einer akademischen Muckibude liegt in der Luft.
Gerne lesen Leser wie ich ja von anderen Lesern, die in einem Buch mehr Anmerkungen hinterlassen, als der ursprüngliche Drucktext einnimmt. Aber das meiste in der Germanistin ist einfach nur Story mit einem Ende, das im Kino vielleicht ganz gut funktioniert, im Roman aber zu ölig reingeschraubt wirkt. Bleibt noch zu sagen, dass ich den Roman trotzdem sehr schnell durchgezogen habe. Und gleich auf den Stapel für den öffentlichen Bücherschrank abgelegt. 

Tuesday, September 24, 2019

Doris Dörrie - Leben, schreiben, atmen

Anders als es der Titel nahlegt, handelt es sich um keinen Schreibratgeber, sondern um eine getarnte, sehr gut geschriebene Autobiografie.
Doris Dörries Anleitung lässt sich ganz kurz zusammenfassen: Schreibe jeden Tag, schreibe in Zehnminutenintervallen, schreibe mit der Hand, schreibe ohne nachzudenken, lass dem Schreiben seinen Lauf. Verlass dich auf deine Erinnerung, benutze einfache Trigger wie: die Erinnerung an die Eltern, das Elternhaus, Freunde, Musik, Tiere, Kleidung, gestern, sitzen und beobachten, flannieren, reisen etc. Dann mischt, nach und nach, von ganz alleine etwas in das Schreiben, das mit Selbst- und Weltvergewisserung, Achtsamkeit, Tiefe zu tun hat.
Und all das demonstriert sie dann selbst in wunderbaren autobiografischen Skizzen, die um wiederkehrende Motive kreisen, dazu aber immer neue Facetten entdecken.
Man geht da nach einer Weile staunend und betört mit.

Thursday, September 19, 2019

Takis Würger - Der Club

Roman, den man sehr schnell in einem Zug durchliest: Ein trauriger Hans lässt einen Vergewaltiger-Club im schnöseligen Cambridge auffliegen. Kein Werk für die Ewigkeit, eher für den offenen Bücherschrank.

Wednesday, September 18, 2019

Norbert Scheuer - Überm Rauschen

Roman über eine Familie in der Provinz irgendwo in der Eifel, Wirtshausbesitzer, Alkoholiker, Glücklose. Hermann, der Bruder, Außenseiter und Fliegenfischer, kommt nicht mehr aus seinem Zimmer, das ist das zentrale Motiv. Zu viele Verletzungen, zu groß die Kluft zwischen dem Leben und den eigenen Träumen. Die Suche nach dem großen Fisch blieb erfolglos.
Es ist der Ton, der diesen Roman so gut macht – bis in die Lexikon-Vignetten über Fische und Köder. In der Danksagung nach der Erzählung steht dann die Charakterisierung, die für alle Personen gilt, jedenfalls für die männlichen Helden:
Besonderer Dank gilt meinem Vater, für den dasjenige, was wir gemeinhin für Wirklichkeit halten, immer der kleinere Teil unserer Existenz gewesen ist.
Es ist diese Anlage, die die Helden scheitern lässt, allen voran den Vater im Buch und vor allem den Bruder Hermann. Aber – und das macht die schöne Melancholie dieses Buches aus: es ist der kleine Teil, mit dem sie scheitern. Der größere ist für uns nicht sichtbar, nur erahnbar. Er liegt unterm Rauschen. Und wir ahnen, dass er sehr schön sein könnte.
Das große Glück des Buches ist aber einmal mehr sein Ton, ein Ton wie eine leise, schöne, traurige Musik. Immer, wenn einem Autor dieser Ton gelingt, stellt sich bei mir jedenfalls der Eindruck ein, das ist das Wesen echter Literatur.
Mit welchen Mitteln aber wird dieser Ton erzeugt? Es ist einerseits die Stimme des Ich-Erzählers, der sich ganz zurücknimmt, gleichsam verbirgt, und nur das Äußere beschreibt, aber dadurch auf geradezu magische Weise ein geheimnisvolles Bild, schemenhaft, entstehen lässt. Open City ist auch ein Buch, das ganze in dieser berückenden Tonart geschrieben ist.
Das ist der wahre Stoff, der ganz reine.
Ein zentrales Kapitel handelt von der Ankunft des Vaters in dem kleinen Ort, den er als Angel Tourist besucht und dann hängen bleibt, weil er sich in die Mutter mit dem schweren, kastanienfarbenen Haar und den Katzenaugen verliebt. Er ist ein Mann mit Anlagen, intelligent, gebildet, möchte Bücher schreiben, eine Chronik über den Ort. Aber alles versinkt, löst sich auf, Alkohol, die Untreue der Frau, die uneingelösten Versprechen, die er sich selbst gemacht hat. Am Ende bleibt nur das Angeln.
Mit dem Bruder geht es ähnlich, ein Mathematiker ein Talent, Gymnasiast, der das alles aber schon in der Schule sein lässt.
Die Männer veröden in dem Roman, ganz von selbst wie es scheint, während die Frauen weiter kochen, bedienen und stricken. Oder schimpfen. Eine eigentümliche Kraftlosigkeit drückt die Männer nieder, man weiß nicht, woher sie kommt, ob es am Land liegt oder an ihnen selbst.
Sah einen Vortrag von Norbert Scheuer auf YouTube, er hat einen Sprachfehler, lispelt stark, eine der Eigenschaften, die den Hermann aus Roman so gewinnend macht.
Wikipedia sagt: bis 2017 arbeitete Scheuer als Systemprogrammierer bei der Telekom. Er ist Jahrgang 1951 – also bis zur Rente. Das ist eine so ganz andere Biografie, ein so ganz anderer Zugang zur Literatur, als ein wie auch immer akademischer. Zwingend wohl auch, weil er sich bei seinem Stoff auf seine literarische Provinz – die Eifel – beschränkt, und damit universal wird.

Thursday, September 12, 2019

Sorj Chalandon - Am Tag davor

Roman im Stile Zolas. Ein Mann (Fernfahrer, Witwer) nimmt eine verquere Rache für den frühen Tod seines Bruders, eines Bergarbeiters. Psychogram eines Menschen, den Unglück und Schuld dazu zwingen, ein Leben in der Lüge zu führen, was sich alles irgendwie auf den unmenschlichen Bergbau in Frankreich zurückführen lassen soll. Sehr spannende Lektüre dabei, wie häufig bei Büchern über Gerichtsfälle.

Saturday, September 07, 2019

Ivo Andric - Wesire und Konsuln

Ivo Andric. Lange um diesen Roman gekreist, jahrelang. DAS ist auch eines der Geheimnisse von Büchern: das irgendwann, oft völlig unabhängig von äußeren Ereignissen, ihre Zeit gekommen ist. Ein starkes Buch, wie vermutet. Es geht um das Leben in der Fremde, einer Fremde, die gar keine Anstalten macht, die Fremdheit zu überwinden, im Gegenteil. Und damit muss man dann leben und wird natürlich nicht froh darüber; aber die Wesire und Konsuln stehen es durch, finden Ablenkungen, überstehen es. Und wie Andric das schildert, die Melancholie und Hoffnungslosigkeit, ohne zu düster zu werden, das nimmt einen schon mit auf die Reise.

Thomas Mann - Königliche Hoheit

Zwei Th Mann-Bücher habe ich noch nicht gelesen: Königliche Hoheit und Der Erwählte Warum auch immer. Vielleicht, um das Erlebnis der GROSSEN Romane nicht zu schmälern. Königliche Hoheit also jetzt doch, und zwar hervorragend altmeisterlich gelesen von Gert Westphal. Es geht um den Nachfahren eines Herrscherhauses in einem kleinen, fiktiven Land, dessen Lebensaufgabe lediglich darin besteht, Hoheit zu repräsentieren und damit klar zu kommen. Das Thema ist wie bei Aschenbach: die Form wahren und diese passive Tätigkeit als aktive, gestalterische Arbeit wahrzunehmen. Das wird dann allerdings über Bord geworfen, als eine Milliardärstochter erscheint, die er dann gegen keine ernsthaften Widerstände heiratet und damit nebenbei den maroden Staatshaushalt rettet. Das Ganze ist relativ konfliktfrei, daher auch nur mäßig spannend. Viel investiert Mann in die kataloghafte Schilderung von Interieurs. Nun, es war besser, als erwartet, wenn auch sicher auf der Th Mann-Liste auf einem der hinteren Plätze.