Roman über eine Familie in der Provinz irgendwo in der Eifel, Wirtshausbesitzer, Alkoholiker, Glücklose. Hermann, der Bruder, Außenseiter und Fliegenfischer, kommt nicht mehr aus seinem Zimmer, das ist das zentrale Motiv. Zu viele Verletzungen, zu groß die Kluft zwischen dem Leben und den eigenen Träumen. Die Suche nach dem
großen Fisch blieb erfolglos.
Es ist der Ton, der diesen Roman so gut macht – bis in die Lexikon-Vignetten über Fische und Köder. In der Danksagung nach der Erzählung steht dann die Charakterisierung, die für alle Personen gilt, jedenfalls für die männlichen Helden:
Besonderer Dank gilt meinem Vater, für den dasjenige, was wir gemeinhin für Wirklichkeit halten, immer der kleinere Teil unserer Existenz gewesen ist.
Es ist diese Anlage, die die Helden scheitern lässt, allen voran den Vater im Buch und vor allem den Bruder Hermann. Aber – und das macht die schöne Melancholie dieses Buches aus: es ist der kleine Teil, mit dem sie scheitern. Der größere ist für uns nicht sichtbar, nur erahnbar. Er liegt unterm Rauschen. Und wir ahnen, dass er sehr schön sein könnte.
Das große Glück des Buches ist aber einmal mehr sein Ton, ein Ton wie eine leise, schöne, traurige Musik. Immer, wenn einem Autor dieser Ton gelingt, stellt sich bei mir jedenfalls der Eindruck ein, das ist das Wesen echter Literatur.
Mit welchen Mitteln aber wird dieser Ton erzeugt? Es ist einerseits die Stimme des Ich-Erzählers, der sich ganz zurücknimmt, gleichsam verbirgt, und nur das Äußere beschreibt, aber dadurch auf geradezu magische Weise ein geheimnisvolles Bild, schemenhaft, entstehen lässt.
Open City ist auch ein Buch, das ganze in dieser berückenden Tonart geschrieben ist.
Das ist der wahre Stoff, der ganz reine.
Ein zentrales Kapitel handelt von der Ankunft des Vaters in dem kleinen Ort, den er als Angel Tourist besucht und dann hängen bleibt, weil er sich in die Mutter mit dem schweren, kastanienfarbenen Haar und den Katzenaugen verliebt. Er ist ein Mann mit Anlagen, intelligent, gebildet, möchte Bücher schreiben, eine Chronik über den Ort. Aber alles versinkt, löst sich auf, Alkohol, die Untreue der Frau, die uneingelösten Versprechen, die er sich selbst gemacht hat. Am Ende bleibt nur das Angeln.
Mit dem Bruder geht es ähnlich, ein Mathematiker ein Talent, Gymnasiast, der das alles aber schon in der Schule sein lässt.
Die Männer veröden in dem Roman, ganz von selbst wie es scheint, während die Frauen weiter kochen, bedienen und stricken. Oder schimpfen. Eine eigentümliche Kraftlosigkeit drückt die Männer nieder, man weiß nicht, woher sie kommt, ob es am Land liegt oder an ihnen selbst.
Sah einen Vortrag von Norbert Scheuer auf YouTube, er hat einen Sprachfehler, lispelt stark, eine der Eigenschaften, die den Hermann aus Roman so gewinnend macht.
Wikipedia sagt: bis 2017 arbeitete Scheuer als Systemprogrammierer bei der Telekom. Er ist Jahrgang 1951 – also bis zur Rente. Das ist eine so ganz andere Biografie, ein so ganz anderer Zugang zur Literatur, als ein wie auch immer akademischer. Zwingend wohl auch, weil er sich bei seinem Stoff auf seine literarische Provinz – die Eifel – beschränkt, und damit universal wird.