Ein Blog über das Stöbern im Grenzland zwischen U und E. Ausflüge ins Landesinnere inklusive.
Wednesday, December 31, 2014
Peter Handke, Siegfried Unseld - Der Briefwechsel
Interessante Lebensbeziehung. Immer wieder flammen bitterste Konflikte auf. Die Sorgfalt anderseits. Auch das Mondäne. Und die unglaubliche Produktivität Handkes.
Denis Johnson - Train Dreams
Das Leben eines verwitweten Holzfällers auf hundert Seiten. Atmosphärisch stark, hin und wieder etwas skurril spooky. Zum Wiederlesen.
Saturday, December 27, 2014
Franz Kafka - Das Schloss
Ein Landvermesser kämpft gegen eine anonyme und komplexe Macht um Existenz und gesellschaftlichen Status. Zweite oder dritte Lektüre. Vieles lag anders in der Erinnerung, zum Beispiel das Warten in der Kutsche. Außerdem mit dem 19. und 20. Kapitel die ganze Story sehr friedalastig, fast wird es zu ihrem Roman.
Friday, December 26, 2014
Marisha Pessl - Die Amerikanische Nacht
Die magisch-begabte Tochter eines morbiden Filmemachers begeht Selbstmord und streut davor noch einen Strauß Rätsel aus, die ein investigativer Journalist lösen will. Plottgetriebener Schmöcker, spannend und luftig wie Popcorn. Schön die großformatige Fischer-Paperback-Ausgabe übrigens.
Saturday, December 20, 2014
A. L. Kennedy - Das blaue Buch
Wednesday, December 10, 2014
Monday, December 01, 2014
Nathanael West - Miss Lonelyheart
Bonustrack auf der SWR-Bestenliste. Miniroman über einen brutalen und feigen Kummerkastenredakteur. Formal aus heutiger Sicht eher unspannend. Alles in allem unsympathische Lektüre.
Sunday, November 30, 2014
Fritz Rudolf Fries - Der Weg nach Oobliadooh
Völlig überraschend beim Abarbeiten der SWR-Bestenliste vom November 2012 auf diese wahre Perle gestoßen. Wirklich eines der besten Bücher seit langem. Erinnert sogar an Nabokov, namentlich an Die Gabe. Zwei junge Männer der DDR in den Fünfzigern, der eine Schriftsteller, der andere Musiker, bzw. wollen sie das sein, ehe sie sich in eine bürgerliche Existenz zu fügen (scheinen). Tragen beide den ironisch-melancholischen Blick auf die Welt, wie Nabokovs junge Künstler. Dabei sehr lustig. Sprachlich ganz modern, an Joyce geschult, aber alles irgendwie leicht und tänzelnd. Kaum zu glauben, dass dieses Buch vor 50 Jahre in der DDR geschrieben worden ist. Große Entdeckung.
Monday, November 24, 2014
Jean-Philippe Toussaint - Die Dringlichkeit und die Geduld
Sehr schöner kleiner Essay-Band über das Schreiben, Schriftsteller-Werden, Einflüsse etc. Die Initiationen ähneln sich häufig. Dostojewski nennt fast jeder, so auch hier. Verbrechen und Strafe hat ihn mehr oder weniger zum Schreiben gebracht. Viele nette Zitate auch, etwa der Gedanke von Baudelaire, ein Buch sei ein Traum von Stein. Und die Zusammenballung des Schreibmovens in die beiden Begriffe Dringlichkeit (Rimbaud, Faulkner, Dostojewski) und Geduld (Flaubert). Etwas kurz ist es, in knapp zwei Stunden hat man das schmale Bändchen durch.
Sunday, November 23, 2014
Ulrich Bien - Fokus Pokus
Immer mal wieder so ein Gehirnbüchlein, dueses hier ist gut, kurz und prägnant, z. B.: "Machen Sie den Test: Mit einem Buch können Sie herausfinden, ob und wie lange Sie sich konzentrieren können. Greifen Sie sich eine Literarischgattung Ihrer Wahl und fangen Sie einfach an zu lesen - und zwar so lange, wie Sie können.
Oder: "Bevor Sie etwas lernen oder sich etwas merken wollen, sollten Sie sich die wichtigste Frage überhaupt stellen:Warum ist dies oder das so oder so? Suchen Sie nach dem Sinn hinter den Informationen, forschen Sie nach Gründen, wie und warum etwas entstanden ist. Nicht weil Sie sich mehr Arbeit beim Lernen und Merken machen sollen, sondern weil das Gehirn unschlagbar beim Lernen von Zusammenhängen ist."
Oder: "Bevor Sie etwas lernen oder sich etwas merken wollen, sollten Sie sich die wichtigste Frage überhaupt stellen:Warum ist dies oder das so oder so? Suchen Sie nach dem Sinn hinter den Informationen, forschen Sie nach Gründen, wie und warum etwas entstanden ist. Nicht weil Sie sich mehr Arbeit beim Lernen und Merken machen sollen, sondern weil das Gehirn unschlagbar beim Lernen von Zusammenhängen ist."
Saturday, November 22, 2014
Peter Henisch - Vom Wunsch, Indianer zu werden
Witzig: Kafka meets Karl May auf fiktiver Amerikafahrt. Nicht zu lang. Auf den mir bis dato ganz unbekannten Autoren beim Googeln nach Joseph Roth gestoßen. Irgendein Video, in dem er Roth als sein Vorbild erklärt.
Thursday, November 20, 2014
E.T.A. Hoffmann - Lebensansichten des Kater Murr
Hatte das seltsamer Weise noch gar nicht gelesen und war mit Hoffmann schon so gut wie durch. Murr ist aber eine Perle, in keinem anderen Werk scheint Hoffmann freier, lustiger, ideenreicher. Schon die ganze Anlage ist "genialisch", also die Doppelseiten aus Kater-Memoiren und Künstlerbiographie. Berührt von der romantischen Behandlung des Außenseitermotivs. Das hat man damals so als Student blanko als Vorlage des Lebensentwurfs genommen.
Tuesday, November 11, 2014
Robert Seethaler - Ein ganzes Leben
Lebensgeschichte eines Alpenbewohners: Schläge in der Kindheit, Arbeit auf dem Feld, am Berg, Eheglück, pulverisiert durch eine Lawine, Krieg, Gefangenschaft, Arbeit, Einsamkeit, Natur, Erinnerungen, Tod auf hundert Seiten. Eine Art längeres Unverhofftes Wiedersehen, sehr dicht und trotz der Fülle fast durchgehend szenisch. Hinterließ starken Eindruck.
Monday, November 10, 2014
Lutz Seiler - Kruso
Schöner Roman über die Freundschaft zweier Spüler in einer Wirtschaft auf der Flüchtlingsinsel Hiddensee kurz vor der Wende. Sprache und Atmosphäre stark, doch hat der letzte Zug etwas gefehlt. Gerade im letzten Drittel erwartet man von jedem Kapitel, dass es das letzte ist, daher franst die Geschichte etwas aus, was schade ist. Ähnlich wie bei manchen ersten und letzten Beethovensinfonien, die solange auf den Schluss hinarbeiten, dass er, wenn er denn wirklich kommt, enttäuscht.
Saturday, November 01, 2014
Joseph Roth - Die Flucht ohne Ende
Ein weiterer Joseph Roth, einer der besten. Geschichte eines Weltkriegsverschollenem, der verschiedene Anläufe unternimmt, ins Leben zurückzukehren. Roths Stil manchmal an die Luzidität Heines erinnernd.
Thursday, October 30, 2014
Don Winslow - Kings of Cool
Musste bei der Lektüre oft an Wolf Haas denken: Haas hat im Interview gesagt, es ginge ihm eigentlich nur um die Sprache bei seinen Brennern. Plot und so eher uninteressant. So auch hier. Jeder Satz ist gewissermaßen soundgestaltet. Für fast jedes der Mini-Kapitel erfindet Winslow ein eigenes Gestaltungsprinzip, um diesen coolen Sound herzustellen.
Taije Silasi - Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Buddenbrooks, globalisiert, afrikanisch. Das Problematische fehlender, ungewisser Wurzeln. Etwas viel Geweine und Besonderheitsdünkel. Alles in allem aber sehr lohnend, da welthaltig, wie kaum ein Buch. Stil auch sehr gut.
Wilhelm von Sternburg - Joseph Roth
Gute Biographie. Etwas mehr über Roths Schreibprozess wäre noch ganz nett gewesen. Angesichts der verschiedenen Geisteshaltungen, die JR durchlaufen hat, wie unsinnig ihn auf eine davon zu fixieren, wie es in der Schule, Uni, Kritik gemacht wird. JR, der Monarchist, der Katholik, früher der Sozi etc. Erklärt weniger als null.
Thursday, October 16, 2014
Patrick Modiano - Das Café der verlorenen Jugend
Doch etwas enttäuscht gewesen. Ließ sich gut an, Melancholie, Künstler in Cafés, eine geheimnisvolle Frau etc. Aber aus dem wird leider nicht viel. Sehr genervt von dem ganzen Stadtplanmäßigem. Dieser Platz, jene Straße, diese Haltestation, ja mein Gott, muss man die denn alle kennen? Gefühl, ausgeschlossen zu sein deswegen, als wäre das nicht an mich adressiert.
Ein paar nette Zitate allerdings auf dem Wegrand, z.B.:
Leider selbst keinen Fixpunkt in diesem Romänchen gefunden.
Ein paar nette Zitate allerdings auf dem Wegrand, z.B.:
"Natürlich verstand ich das. In diesem Leben, das uns manchmal vorkommt, wie eine große Brachfläche ohne Wegweiser, inmitten all dieser Fluchtlinien und verlorenen Horizonte, würde man gerne Bezugspunkte finden, eine Art von Kataster anlegen, um nicht länger das Gefühl zu haben, dass man sich ziellos treiben lässt. Also knüpft man Beziehungen, versucht, ungewisse Zufallsbekanntschaften zu festigen."
Leider selbst keinen Fixpunkt in diesem Romänchen gefunden.
Tuesday, October 14, 2014
Richard Powers - Orfeu
Monday, October 13, 2014
Rüdiger Görner - Georg Trakl
Nostalgielektüre, Vorwand, Trakl-Gedichte alle mal wieder zu lesen. Görner leitet kundig durch. Zu den Gedichten lässt sich nicht viel neues sagen. Görner liefert aber viel Atmosphärisches aus Begleitquellen. Interessant, dass er zu den Elis-Gedichten nicht auf Hoffmann hinweist, zumal sich der Hinweis ja auch bei Fühmann findet, den er erwähnt.
Judith Hermann - Aller Liebe Anfang
Wollte ich eigentlich nicht lesen. Aber nachdem es so viele Untergürtellinienschläge seitens der Kritik gab dann doch aus blanker Solidarität zu Judith Hermanns Aller Liebe Anfang gegriffen und in einem Zug durchgelesen. Vielen scheint entgangen, dass es hier um nichts weniger als so etwas wie die große Irritation über die Engführung des Lebens ab Mitte 30 geht. Und das ganze sauberst auserzählt, ohne dass aus in irgendeinem Spalt so etwas wie Konzept oder Küchenpsychologie zieht. Fast schon fontanemäßig realistisch, immer mit einem ganz leichten Schimmer Halblicht auf den Dingen. Das ist gute Literatur!
Thursday, October 02, 2014
Thomas Bernhard - Der Atem
Interessant, wie das immer wieder funktioniert, auch wenn man schon viele Jahre Thomas Bernhard gelesen hat.
Agota Kristof - Das große Heft
Heftige Geschichte über die Verwilderung von Zwillingen während eines namenlosen Krieges. Grenzüberschreitungen dauernd. Gut und Böse keine Kategorie mehr. Gnadenlose Stärke dieses seltsamen Doppelcharakters. Einer der stärksten Schlusssätze, den ich je gelesen habe. Minutenlange Gänsehaut.
Hilary Mantel - Falken
Zum zweiten Mal. Man denkt anders, während man dieses Buch liest. Eine große Geschichte, alles atemlos dicht umgesetzt, ganz ohne Historienzierrat. Die Ausstaffierung funktioniert auf rein geistiger Ebene. Unglaublich. Was wird wohl der der dritte Teil bringen? Cromwells Ende, wie mag das durch diesen Bewusststeinsstrom ziehen?
Saturday, September 27, 2014
Lisa Kränzler - Lichtfang
Kurzer Roman über ein altes Motiv. Zwei Außenseiter, 18-Jährige, lieben sich, quälen sich. Eigentlicher Held ist die Sprache, Kränzler schreibt fast keinen Satz ohne Gestaltungswillen bzw -idee. Manchmal wie Shakespeare.
Monday, September 22, 2014
Karl Ove Knausgård - Sterben
Nach vielen Vorschusslorbeeren wie immer erst mal beiseite gelassen. So ist das mit den guten Büchern, ihre Zeit kommt irgendwann. Es kann durchaus sein, dass es einige Anläufe braucht, aber die wirklich guten werden dann auch gelesen.
Knausgårds Buch ist genau genommen gar kein Roman, sondern ein Stück radikaler Autobiographie. Erzählt das Verhältnis zu dem Vater Knausgårds, welche Distanz, Kälte, Angst etc. mit der Figur des Vaters verbunden waren, und wie sich das bis in zu dessen Sterben gehalten hat. Erst nach dem Tod kommt tatsächlich etwas auf, Nähe kann man es nicht nennen, Verständnis auch nicht, am ehesten vielleicht allgemein Bewusstsein für die Problematik von dessen Existenz.
Die Handlung ist nebensächlich, lässt sich auch gar nicht so leicht zusammenfassen. Im ersten von zwei Teilen erzählt Knausgård von seiner Kindheit, die er in der Nähe dieses Vaters verbringt, sein Aufwachsen mit Mädchen, Musik, Träumen, Fußball, erstem Rausch und so weiter. Trotz des schwierigen Verhältnisses zum Vater, scheint der Erzähler in dieser Jugend glücklich, euphorisiert von den Möglichkeiten des Lebens.
Der Vater ist immer als knorriger Schatten präsent, verliert aber bald etwas von seiner Gefährlichkeit, eine irrationale, fast unheimliche Veränderungen vollzieht sich an ihm. Durch den bürgerlichen und strengen Familienmann bricht eine andere, tiefere Identität durch, er verlässt die Frau, kleidet sich seltsamer, beginnt zu trinken. Einmal kommt Knausgård nach Hause, unangemeldet, und trifft seinen Vater an, wie er ein sentimentales Lied mit voller Lautstärke hört und dabei in Tränen aufgelöst mitsingt ist. Er schleicht sich davon, nichts wäre schlimmer, als von seinem Vater dabei ertappt zu werden, wie er ihn ertappt.
Dann der zweite Teil, Knausgård erfährt vom Tod des Vaters, fährt mit seinem Bruder in das Haus der Großmutter und erlebt, wie sich die Existenz seines Vaters in den letzten Jahren in eine wahre Hölle verwandelt hat. Als schwerer Trinker hatte er sich bei seiner Mutter verbarrikadiert und ein furchtbar einsames Messileben geführt.
Es ist das ein oder andere Mal in Rezensionen davon geschrieben worden, dass das Buch formlos sei. Aber das stimmt nicht. Die Form ergibt sich aus dem Vorher-Nachher dieser beiden Teile. Es ist wie ein Bild mit sehr vielen Details, das erst in einem hellen, klaren, kalten Licht gezeigt wird, dann aber aus in einem dunklen, bedrohlichen, dabei ebenfalls sehr kalten.
Auch wurde Knausgård angekreidet, sich zu sehr in Details zu verlieren. Tatsächlich schildert er scheinbar banale Vorgänge und Hantierungen übergenau. Der Tee wird nicht nur gekocht, sondern das Wasser zum Sieden gebracht, bis es sprudelt, dann Teebeutel eingelegt, bis sich das Wasser verfärbt etc. Und das fast bei allen Vorgängen: Autofahren, Zigaretten drehen, auf den Bus warten, zum Kiosk gehen, dort bezahlen, das Wechselgeld nicht in die Hand gezählt zu bekommen etc. Natürlich ist das nicht ökonomisch, aber das ist sein Stil, es geht bei ihm tatsächlich darum, sich Wirklichkeit zu erschreiben, durchzubrechen zum Authentischen, das in unserem Alltag ständig von einem Firnis auf Gedanken, Vorannahmen, Geistigem überlagert wird. Das ist fast eine Art Programm.
Am krassesten ist dieser Überlagerung vielleicht beim Thema Tod und Sterben. Allerdings erweist sich der Tod immer als mächtiger, als die Hülle, in der wir unsere Welt decken, die wir vermutlich brauchen, um überleben zu können. Erst mit dem Sterben reißt die Leinwand.
Sunday, September 14, 2014
Tomas Espedal - Gehen
Schönstes Buch über das Gehen und die Freiheit überhaupt bislang. Wie das Gehen und das Schreiben zusammenhängen, wie sich das eine aus dem anderen ergibt.
Nach der Lektüre - oder schon während der Lektüre - will man seine Schuhe schnüren und losgehen und gar nicht mehr auftauchen im Büro, im Eigenheim, im Sportverein, in allem, was einem davon abhält, ein wildes und poetisches Leben zu führen, wie Espedal und alle seinen literarischen Vor-Geher Hölderlin, Rousseau, Nietzsche, Whitman, Bernhard, Rimbaud, Satie und wie sie alles heißen. Natürlich verherrlicht Espedal seinen Gegenstand - das Gehen, das Wandern -, verschweigt aber nicht die Schattenseiten: die plötzliche Einsamkeit, die Verzweiflung, die Gefahren, die kaputten Füße, die Haltlosigkeit des Daseins als Landstreicher. Und es gibt stellen darin, bei denen man lauthals auflachen muss, etwa, wenn die Wanderer irgendwo in Griechenland von einem Pferd verfolgt werden und dieses nicht mehr losbekommen oder als sie sich in der Türkei im Freien campierend die Angst wegtrinken müssen und schließlich erkennen, dass sie sich dabei in genau die Art Gesindel verwandelt haben, vor dem sie sich selbst gerade so fürchten.
Wirklich ein großartiges Buch, vor allem für alle Geher und Wanderer unter den Buchfreunden. Und wenn das einen noch nicht davon überzeugt, dann lohnt vielleicht ein Blick auf diesen Schriftsteller, in sein Gesicht, das sich selbst in eine Landschaft zu verwandeln scheint, und in seine Lebensumstände.
Nach der Lektüre - oder schon während der Lektüre - will man seine Schuhe schnüren und losgehen und gar nicht mehr auftauchen im Büro, im Eigenheim, im Sportverein, in allem, was einem davon abhält, ein wildes und poetisches Leben zu führen, wie Espedal und alle seinen literarischen Vor-Geher Hölderlin, Rousseau, Nietzsche, Whitman, Bernhard, Rimbaud, Satie und wie sie alles heißen. Natürlich verherrlicht Espedal seinen Gegenstand - das Gehen, das Wandern -, verschweigt aber nicht die Schattenseiten: die plötzliche Einsamkeit, die Verzweiflung, die Gefahren, die kaputten Füße, die Haltlosigkeit des Daseins als Landstreicher. Und es gibt stellen darin, bei denen man lauthals auflachen muss, etwa, wenn die Wanderer irgendwo in Griechenland von einem Pferd verfolgt werden und dieses nicht mehr losbekommen oder als sie sich in der Türkei im Freien campierend die Angst wegtrinken müssen und schließlich erkennen, dass sie sich dabei in genau die Art Gesindel verwandelt haben, vor dem sie sich selbst gerade so fürchten.
Wirklich ein großartiges Buch, vor allem für alle Geher und Wanderer unter den Buchfreunden. Und wenn das einen noch nicht davon überzeugt, dann lohnt vielleicht ein Blick auf diesen Schriftsteller, in sein Gesicht, das sich selbst in eine Landschaft zu verwandeln scheint, und in seine Lebensumstände.
Dan Simmons - Sommer der Nacht
Roman über eine Gruppe von Kindern im ländlichen Ohio der 60er Jahre, die alleine gegen das Böse kämpfen. Teilweise betörend, nur dass einen die Gruselmotive immer wieder aus der schönen Illusion aufstören. Wie ES von Stephen King.
Thomas Hettche - Die Pfaueninsel
Buchpreiskandidat. Historischer Botanikroman. Eine Zwergin auf einer Kuriositäteninsel zur Zeit der letzten Preußenkönige. Geschliffen und viel Fleißarbeit.
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historischer Roman
Thursday, August 28, 2014
Max Frisch - Aus dem Berliner Journal
Etwas karge Aufzeichnungen, aber der typische Max-Frisch-Sound, dem man vor zwanzig Jahren so verfallen war, ist sofort wieder da. Fast scheint er der einzige "gegenwärtige" Klassiker, den man immer mal wieder liest, so wie Kafka oder Thomas Mann. Bei Grass oder Böll kann man sich das weniger vorstellen. Dennoch sind das Nachrichten und Einblicke von eigentümlicher Vergangenheit, man liest sie als literarhistorische Zeugnisse aus einer fernen Epoche, ferner fast als die Kafkas und schon vergilbt. Frisch beschreibt da viel DDR, also ein Land, dass es seit einem viertel Jahrhundert nicht mehr gibt. Die porträtierten Autorenhelden sind fast alle bereits von der Vergessenheit angekränkelt - Andersch, Wolf, Grass, Johnson, Biermann, Kunert. Am eindringlichsten noch die Beschreibung der Schreibkrise, in der er sich zu befinden scheint und wogegen die Aufzeichnungen anschreiben. Irgendwo bringt er das ins Bild eines Hafenwächters, dessen eigentlichen Aufgaben obsolet geworden sind und der sich jetzt die Zeit vertreibt, indem das Ein- und Ausfahren der Schiffe notiert. Nett übrigens die Idee der Hörbuch-Macher, die Abschnitte durch das Klicken einer Schreibmaschinentype zu synkopieren.
Saturday, August 23, 2014
Werner Kappacher - Selina oder das andere Leben
Lehrer aus Salzburg, in der Mitte seines Lebens, erhält die Gelegenheit, ein Sabbatjahr in einem toskanischen Landhaus zu verbringen. Einzige Bedingung ist, dass er es herrichtet. Die Erzählung beginnt dann als eine Art Robinsonade, erzählt wird, wie er sich einrichtet, das Überlebenswichtige heranschafft, das Haus zugänglich und bewohnbar macht, die Fledermäuse, Ameisen und Schlangen fernhält etc. Mit den Einwohnern steht er in freundschaftlichen Kontakt, ein Mal schläft er sogar mit einer von ihnen. Außerdem gibt es da noch die philosophische Freundschaft mit dem Hausbesitzer, einem alten Deutschen und Gelehrten, der aber schon sterbenskrank ist. Der Stil ist klassisch-schlicht, ohne modisch-lakonisch zu werden, manchmal streift er das Elegische. Seltsam nur, dass der Erzähler nicht dazu gelangt, das eigentliche Versprechen des Romans einzulösen, nämlich die Liebe zu Selina, der Nichte und Erbin des Hausbesitzers. Als sie das Geschehen betritt, klingt der Roman ganz schnell aus, ohne dass sich das titelgebende Thema in irgendeiner Form entfaltet hat. Vermutlich ist es Absicht, denn tatsächlich vermisst man sie nicht bzw. spürt ihre Anwesenheit von Anfang an und diese uneingelöste Verheißung, von der man gar nicht richtig erzählen kann, gibt allem noch eine schöne Hintergrundmelodie. Hat sich insgesamt sehr gelohnt.
Wednesday, August 20, 2014
W. G. Sebald - Die Ringe des Saturn
Reisebeschreibung einer Wanderung durch Suffolk mit assoziativen Abschweifungen zu allen möglichen Themen wie die Seidenspinnerei, Bäume, Chateaubriand, chinesische Dynastien, die Naturgeschichte des Herings, Conrad, Sklavenwirtschaft, die Macht versunkener Städte, Zucker, geheime Vernichtungswaffen und vieles mehr. Verblüffend: Schon mit dem ersten Satz stellt sich der unverwechselbare Sebald-Ton ein und trägt einen in sanften, schön geschwungenen Wellen durch diese dunkelschöne Landschaften.
Colson Whitehead - Apex
Werbetexter - eigentlich Berater für Namensgebungen - soll Kleinstadt bei Umbenennung beraten. Zur Auswahl stehen drei Namen, die je unterschiedliche Epochen der Stadt widerspiegeln. Die Interessensvertreter buhlen um seine Fürsprache. Parallel dazu wird in Rückblicken die Geschichte des Beraters erzählt, sein Aufstieg und seine Krise. Das Thema Bedeutung der Namen wird witzig, melancholisch und sehr geistreich bis in die Verästelungen dieser schlanken Erzählung durchgeführt.
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Reinhard Kaiser-Mühlecker - Der lange Gang über die Stationen
Österreich, 50er Jahre, junger Landwirt heiratet Frau aus der Stadt und macht sich daran, sein Land zu bestellen, versäumt dabei den Anschluss an den technischen Fortschritt, verschuldet sich, verliert auch die Liebe zu seiner Frau. Typische Land- und Österreich-Ingredienzen: Der eine Nachbar erschießt sich, der andere erhängt sich, im Nebenzimmer stirbt quälend langsam der Vater, der Pfarrer verweigert den Segen für die Selbstmörder etc. Beschreibungen angelehnt an Stifter, und obwohl das alles nach Bernhard klingt, vom Ton her ganz anders, viel empfindsamer. Interessant, aber auch irgendwie kalt, ausgestellt.
Friday, August 08, 2014
Wolfgang Herrndorf - Arbeit und Struktur
Einzigartig, ein Dokument. Wollte erst die Lesung nicht hören, um die empfundene Autorenstimme nicht zu verlieren. Aber nach einer Weile Diehl identisch damit.
John Burnside - In hellen Sommernächten
Burnside ist einer der Autoren, von dem ich jedes Buch lese. Alles geschieht unglaublich langsam, alles scheint Landschaft, ohne dass er die eigentlich beschreibt. Geheimnisvolles wandert beim Lesen ständig mit, aber nur so im Augenwinkel, nie tritt es richtig hervor. Alles ist voller Geschichten, aber auch die legt er nur irgendwo in diesem wahrhaft romantischen Ort seines Erzählens aus, ohne sie durchzuexerzieren. Ich kenne keinen großartigeren Rauner unter den Romanciers von heute.
Sunday, August 03, 2014
Helmut Krausser - Eros
Helmut Kraussers Eros habe ich vor einigen Jahren schon mal angefangen. Bin damals dann aber nur so ungefähr bis Seite zehn gekommen. Dachte mir vor Kurzem: Komm, Krausser hast du doch früher ganz gerne gelesen, einer der vielleicht etwas zu sagen hat und so weiter. Also habe ich das Buch wieder aus dem Regal gesucht und angefangen und es war grauenhaft. Warum sollte man ein Buch lesen über lauter unsympathische, großmäulige, eitle, hysterische, geschwätzige, eitle, größenwahnsinnige, einfältige, eitle, komplexbehaftete Typen, lauter Pappkameraden und -kameradinnen, mit denen man nie, nie, nie ein Bier trinken gehen würde? Auch die Sprache ist schlimm (der Musiker Rolf ist gerade "etwas depressiv", Demonstranten werden "verhandschellt"), die Erfindung platt, die Handlung konstruiert, die Ausstaffierung falsch (der Jazz Club im 50er-Jahre-Teil der Handlung soll "Der verkaterte Stiefel" heißen - glaub ich einfach nicht). Mein Widerwille gegen das Buch war am Ende so stark, dass ich es im Zug liegen gelassen habe. Wollte es gar nicht mehr im Haus haben.
Friedrich Ani - Gottes Tochter
Ani ist einer, der Mut zum Pathos hat, und das gefällt mir an sich schon mal. Die Bücher wollen einfach nie irgendwie cool daher kommen. Von Ani gibt es nichts Glattes, Durchgestyltes, Kaltes. Bei ihm brennt es immer irgendwie. Das liegt an den Typen, die er da beschreibt. Geht schwer in die Richtung Hans Fallada. Man merkt einfach auf jeder Seite, dass es dem Mann weniger darum zu tun ist, nur so schöne Literatur zu machen, sondern diesen Typen irgendwie Gehör zu verschaffen. Als wäre es wichtig, dass die Welt/der Leser wissen, dass es die gibt. Die Mittel, die er dafür verwendet, passen dazu. Klar, dass sich da zwei treffen und zufällig das gleiche Hölderlin-Gedicht auswendig kennen - so was von geschenkt. Vertrieben werden die Bücher als Krimis. Mögen sie ja auch irgendwie sein, aber auch das: so was von geschenkt.
Wednesday, July 16, 2014
Stefan Zweig - Drei Meister. Balzac Dickens Dostojewski
Die Schriftsteller-Essays waren für mich sicher einmal ein Türöffner in die Literatur. Hier der über Balzac, Dickens und Dostojewski. Heute tu ich mir etwas schwer mit dem Pathos. Die ganze Zeit dieser hohe Ton, der einem ganz schön was reindrücken will. Aber brilliante Bilder und Beschreibungen unter dem ganzen Überzuckerwerk.
Volker Weidermann - 1936. Sommer der Freundschaft
Sehr schönes Exemplar herrlich wegschmöckerbarer Literar-Sachbücher. 1900-1945 ist in Sachen literarisches Leben eine unglaublich bewegte, reiche Zeit.
Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein
Sehr starker Roman im Kleinbürgermilieu zur Nazi-Zeit spielend. Das Ehepaar Quangel leistet mit bescheidenen Mitteln Widerstand gegen das Regime, hat erst Glück, wird dann verhaftet, gefoltert, hingerichtet. Großartige Sterbeszene von atemberaubender Lakonie.
Thursday, July 10, 2014
Joseph Roth - Beichte eines Mörders
Joseph Roth, animiert dazu durch Volker Weidermanns großartiges Buch Ostende. Flott erzählte Geschichte eines unehelichen Fürstensohns, der anerkannt werden will, aber nicht wird. Er wird Geheimpolizist, bringt Leute ins Unglück, kämpft immer wieder gegen einen seinen privilegierten Doppelgänger an, das alles im Hotel-, Halbwelt-, Emigrantenmilieu. Viele Roth-Motive: Schnaps, Entwurzelung, Alte Welt. Aber auch unausgegoren, ein eigentlicher Schwerpunkt fehlend. Irgendwie haben wir das alles einer seltsamen Nebenfigur zu verdanken, der nach dem Erzverführer Satanas modelliert ist. Aber da eigentlich nicht wirklich etwas passiert, kann der auch nicht so schlimm sein. Eigentlich tauchen nur am Rande mal wirkliche Menschen auf, ein Gruppe politisch Verfolgter, die fast nachlässig vernichtet wird. Das könnte der eigentliche Sinn des ganzen sein, nämlich darzustellen, dass zu dieser Zeit hinter der Szenerie des Schmierentheaters wirkliche Menschen wirklich vernichtet wurden, andauernd und ganz nebenbei.
Wednesday, July 02, 2014
Colum McCann - Der Himmel unter der Stadt
Roman über die Tunnelwelt unter New York, über Menschen, die sie gebaut haben und andere, die heute in ihnen leben. Starkes Thema, sehr stark dieser Walker, der allen Widerständen zum Trotz eine Weiße heiratet. Roman darüber, dass auch im Einfachen der Keim für interessante, ja leidenschaftliche Lebensläufe steckt.
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