Saturday, January 28, 2012

10. Betrachtung - Franz Kafka


"Ich würde ganz gern - warum denn nicht - einen Ausflug mit einer Gesellschaft von lauter Niemand machen."
Kafkas dunkelschöne, verrätselte Kammerstückchen.

Eine Schnur mit lauter Perlen:

Kinder auf der Landstraße
Entlarvung eines Bauernfängers
Der plötzliche Spaziergang
Entschlüsse
Der Ausflug ins Gebirge
Das Unglück des Junggesellen
Der Kaufmann
Zerstreutes Hinausschaun
Der Nachhauseweg
Die Vorüberlaufenden
Der Fahrgast
Kleider
Die Abweisung
Zum Nachdenken für Herrenreiter
Das Gassenfenster
Wunsch, Indianer zu werden
Die Bäume
Unglücklichsein

Teilweise sehr cineastisch. Alltagsszenen. Gespräche, zu denen der Leser häufig keinen Schlüssel hat. Unversehens öffnen sich Türen, kommen Gespenster ins Zimmer, eröffnen Aufzüge eine göttliche Totale auf das Treiben der Welt.

Unglaubliche Stücke eigentlich.

Verfügbare Bilder von Herz/Seele/Geist u.a.

Er hat ein Herz, wie ein Schiffsmotor.
Er hat eine Seele, wie ein Rübenacker.

Er hat das Herz eines nassen Aschenbechers.
Ein Kopf, wie ein Trampolin.

Gemüt eines Hinterhofantiquariats.
Er ist ein Schnauzbart von einer Seele.

"Sie hat a Goschen wie eine Frisörschere."
Das Herz einer zahmen Bärin.

Friday, January 27, 2012

9. Die Herrlichkeit des Lebens - Michael Kumpfmüller

Lovestory Franz Kafkas und Dora Diamants. Kennenlernen am Strand in Müritz, gemeinsame Wohnungen in Berlin. Glück. Krankheit. Sanatorien. Langsames Sterben in Wien.

Kein leichtes Thema, von Michael Kumpfmüller sehr schön umgesetzt. Ein Buch über die Liebe, wie man es heute selten liest. (Gar nicht mehr).

Die Sprache ganz reduziert. Das sanfte Changieren der Perspektiven, das Kammerspielhafte. Immer sind es ja nur zwei, drei Menschen in einem engen Zimmer.

Herrlichkeit des Lebens. Wie schön es ist, sich vorzustellen, es sei so gewesen.

Tuesday, January 24, 2012

8. Ruhm - Daniel Kehlmann

Roman in neun Geschichten. Gleiches Konzept wie bei Krausser. Winesburg, Ohio eben.

Kehlmann ungleich eleganter und souveräner. Auch der sprichwörtliche doppelte Boden filigraner gestaltet.

Einer der ersten Erzähler hierzulande wohl.

Friday, January 20, 2012

7. Einsamkeit und Sex und Mitleid - Helmut Krausser

Habe einige Jahre einen Bogen um Krausser-Bücher gemacht. Manierismen, Geprotze und Comic-Sprache schwer erträglich.

Dieses jetzt wegen Interesse am Short-Cuts-Prinzip vorgenommen.

Das muss man ihm lassen: Seine Personen-Namen, seine Sprache, seine Klischees mögen unendlich nervend sein. Aber mit seinen Erfindungen versteht er es, einen hineinzuziehen. Und das wiegt vieles auf.

Dennoch: immer das Gefühl großer Künstlichkeit wie bei allen seiner fiktionalen Werke.

Thanatos ausgenommen.

6. Meine Gespräche mit Schriftstellern 1974-1977 - Heinz Ludwig Arnold

Vieles vom Lesen schon bekannt, aber trotzdem sehr anregend. Schön das Ungeschnittene, Rohe: Grass und Frisch zünden sich fortlaufend Pfeifen an, Dürrenmatts Zunge wird deutlich schwerer, je länger das Gespräch dauert, Flugzeuge starten etc.

Unterhaltsamer als mancher Roman. Dabei eigentlich selten besonderer Tiefgang des Gesprächs. Viel Politik und "Engagement", was an der Zeit liegt.

Einiges neu zu entdecken. Dürrenmatts Richter & Henker wieder hervorgeholt.

Wednesday, January 18, 2012

5. Der Richter und sein Henker - Friedrich Dürrenmatt

Einer Anregung der Arnoldschen Schriftstellergespräche folgend. Glaube, das Buch schon mal gelesen zu haben. Aber vielleicht war es auch ein anderer Dürrenmatt-Krimi.

Zwei großartige Szenen: Die Beerdigung mit dem Regen, der alles verstummen lässt. Und der lange Weg des Henkers durch die Landschaft zur Exekution.

Manchmal etwas getragen, manchmal ist parabelhafte chargierend.

Tuesday, January 17, 2012

4. Sunset - Klaus Modick

Kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal einen so dichten, ergreifenden, poetischen Roman gelesen habe. Vielleicht bei Updike?

Sunset - das ist eine Art imaginierter Schwanengesang des Lion Feuchtwanger. Modick schildert den Tag im Leben des alternden Romanciers, an dem ihn die Nachricht vom Tode Brechts ereilt, seinem vielleicht einzigen wahren Freund. Erzählt werden die Reflexionen und Erinnerungen, die das in Feuchtwanger auslöst.

Und so entfaltet sich auf den knapp 200 Seiten ein alterweises Tableu von ungewöhnlicher, ja beglückender thematischer Weite:

Exil, Politik, die Exilgesellschaft in Kalifornien
Schreiben/Literatur als Lebensform
Freundschaft
Religion
Überlebensstrategien
uvm

Dabei entsteht ein Porträt Feuchtwangers, das den Leser durch seine Liebenswürdigkeit völlig für den kleinen, bescheidenen, ungeschickten Mann einnimmt.

Monday, January 16, 2012

3. Art Direction

Halbinspirierender Titel über den Job des Art Directors. Sachbuch aus der Stadtbücherei. Weckt jedenfalls die Augenlust!

Thursday, January 12, 2012

2. Charles Dickens: der Unnachahmliche. Von Hans-Dieter Gelfert

Zur Einstimmung ins Dickens-Jahr.

Brauchbarer Überblick, viele Jahreszahlen, viele Honoraraufrechnungen. Spoiler und Interpretationen zu jedem Hauptwerk, viele Illustrationen sowie eine kleine Theorie zu Dickens' Ästhetik: Es gibt drei zentrale Motive, Erbschaften, die See und das Gefängnis. Die Erbschaften stehen für die Fremdsteuerung der Charaktere, das Meer für die haltlosen, noch ungefestigten Personen; in Gefängnissen, echten und metaphorischen, stecken emotional verhärtete Typen. Dazwischen gibt es tugendhafte und blasse Mittler, die die Veränderungen herbeiführen.

Einiges enttäuscht:
  • Im Vorwort verspricht man Aufklärung darüber, warum Dickens ein Kafka-Vorgänger sei. Davon ist aber kaum die Rede.
  • Viel über Honorare ohne dass man erfährt, was das Geld damals ungefähr wert war.
  • Preisungen von Dickens Sprachkunst - keine Beweise dafür. Hätte der Leser auch auf Englisch gerne genommen.
  • Von einem deutschen Biografen hätte man sich mehr zur Dickens-Rezeption hierzulande gewünscht.

Eine kleine Rowohlt-Biografie hätte den selben Zweck erfüllt. 29,90 Euro für ein gerade 300-Seiten-Buch ohne nennenswerten Serviceanteil ist jedenfalls zu viel.

Tuesday, January 10, 2012

1. Too Much Happiness - Alice Munro

Zugegeben, Überhang aus dem Vorjahr.

Lauter gute Stories. Und es stimmt, was die Kritik immer über Munro schreibt: Es sind lauter kleine Romanskizzen. Also keine klassischen Kurzgeschichten, die nur einen knappen Lebensausschnitt beleuchten. Es geht in kühnen, meist ein Leben umfassenden Sprüngen dahin.

Nur die letzte Geschichte über diese Mathematikerin habe ich mir dann verkniffen. Da ist dieses Munro-Feeling nicht recht aufgekommen.