Wednesday, December 26, 2012

69. Der Buchhändler von Archangelsk - Georges Simenon

Das sagt der Klappentext: 
"Jonas Milk, 40, ein sanfter und sensibler jüdischer Flüchtling aus Russland, Buchhändler in einer französischen Kleinstadt, liebt Bücher, Briefmarken und seine junge, untreue Frau Gina die eines Tages mit den teuersten Briefmarken spurlos verschwindet. Sie ist nach Bourges gegangen , sagt Milk, wenn er im Bistro gefragt wird, wann seine Frau wiederkommt. Und macht sich dadurch täglich immer verdächtiger. [ ] Dann erfährt er etwas, was ihn auf einen Schlag von jedem Verdacht reinwaschen könnte. Für mich einer der schönsten Simenon-Romane, den ich jedes Jahr mindestens ein Mal wiederlese." Pierre Assouline/Le Monde, Paris

Ein sehr guter, weil völlig geradliniger Roman. Mit ganz wenigen, genau gesetzten Pinselstrichen ist alles da: Atmosphäre, Details, Spannung. 

Die häusliche Geborgenheit z. B.: 

Manchmal spazierten die Mäuse durch die Kammer, wenn Gina und er im Bett lagen; sie kamen bis zum Fußende des Bettes, neugierig, so konnte man meinen, zu sehen, wie die Menschen schlafen, und die menschliche Stimme erschreckte sie nicht mehr.

Der Buchhändler, ein Fremder, fühlt sich an dem kleinen Marktplatz zuhause, eben weil er nicht zu den Straßen gehört, wo "die Leute in ihren Häusern wie in hermetisch verschlossenen Kammern wohnen und wo einer kaum seinen Nachbarn kennt."

Aber nachdem seine Frau verschwunden ist, er sich verdächtig gemacht hat, wird deutlich, dass er für sämtliche Nachbarn trotzallem ein Fremder geblieben ist:

Von einem Tag aus den anderen war er wieder ein Fremder geworden, einer aus einer anderen Sippe, einer anderen Welt, der gekommen war, ihr Brot zu essen und eine ihrer Töchter zu nehmen.
Dabei ist Jonas einer der liebenswertesten, harmlosesten Zeitgenossen:

In Wahrheit lebte er in seinem Innersten ein reiches und vielfältiges Leben - das der ganze Place du Vieux-Marché, des ganzen Viertels, dessen leiseste Pulsschläge er kannte.

Aber all der lokale Pantheismus stößt auf animalische Fremdheit. Daraus resultiert die tiefe Enttäschung, nicht aus der Untreue der Ehefrau. 

Eine einfache, eindringliche Geschichte, erzählt von einem Virtuosen der Klarheit. 



Saturday, December 15, 2012

68. Indigo - Clemens J. Setz

Anfangs sehr gut, aber ab der Hälfte sich in Abstrusitäten verlierend. Schüttet reichlich Zettel aus seiner Sammelkiste. Ein guter Schreiber. Aber dann zerfasert das ganze so, dass einen der Plot irgendwann nicht mehr sonderlich interessiert. Mahlstädter Kind ist besser, da kann man hin und wieder ab-Setz-en.

67. Josef Anton - Salman Rusdie

Geschichte der Fatwa. Bewunderungswürdig. Aber ob er ein angenehmer Zeitgenosse ist? Nicht sher nett, was er über einige seiner Freunde ausplaudert, zum Beispiel über Herold Pinter, der ihm mit gefaxten Gedichten auf die Nerven fiel.
Selbstdarstellung erinnert an Thomas Mann, die ja auch nicht unbedingt sympathisch ist. Aber darum geht es ja nicht. Es geht immer, immer um die Bücher. Oder?

Wednesday, November 28, 2012

65. Meine Gespräche mit Schriftstellern 1970-1974: Originaltonaufnahmen - Ludwig Arnold

Durchwegs interessante Gespräche - echte Gespräche. Interessant zu hören, wie eitel manche der Altautoren wirken. Grass, unheimlich von seinem politischen Tun eingenommen. Enzensberger mit nerviger Weigerung, sich auf nur eines der Themen einzulassen. Sehr erfrischend von der Grün und Böll dagegen. Walser wie man ihn heute noch kennt. Letztere drei authentisch. Erstere eher posierend.

Thursday, November 22, 2012

64. Nicholson Baker - Die Rolltreppe

Radikales Buch über das abenteuerliche Labyrinth der Alltagsdenkens.
Umfassende Beschreibung des Bewusstseins.
Faszinierend und von fast atemberaubender Kunstfertigkeit.

Saturday, November 17, 2012

63. Jan Caeyers - Beethoven. Der einsame Revolutionär

Biografie, aus dem einem ein schroffes, neurotisches Genie anschaut. Man merkt, wie sich Caeyers um die Wahrheit bemüht. Sehr gut die Beschreibungen von Beethovens Musik.

Friday, November 16, 2012

62. John Updike - Die Tränen meines Vaters

Der letzte Updike. Eigentlich nur zwei, drei Basisgeschichten in Variationen: Kindheit in der pensylvanianischen Provinz zwischen mächtiger Mutter und schwächlichem Vater; Klassentreffen mit Wiedersehen alter Angehimmelter; Reisen ins primitive, nicht-amerikanische Ausland. Häufig langweilig, aber immer durchsetzt mit Updike-Geschmeide.

61. Peter H. Gogolin - Calvinos Hotel

Über Volltext auf diesen interessanten Autoren gestoßen. Roman über das Rätsel einer Herkunft, inklusive Bosnienkrieg, Inzest und Hitlers V1. Auch ein Italienroman. Mit Vergnügen und Interesse gelesen. Manchmal wirkt das Arrangement etwas beliebig, episodenhaft (Drückerin in Stuttgart, Touristin in Venedig, Skeletthändler aus Russland). Stört aber nicht, im Gegenteil, gewährt Erholung von der etwas bedrückenden Familienstory.

60. Jim Thompson - Jetzt und auf Erden

Achtung, kein Krimi! Sondern: ein autobiografischer Roman über die großen Schwierigkeiten, kreativen Schaffens in Armut und Enge einer Unterschichtsfamilie.

Sehr nackt und offen und in seiner Authentizität anrührend. Wie karg das Leben war. Wie wenig die Leute hatten. Wie schwer es war, die Dinge zu ändern.

Ich habe gelesen, dass Thompson später dank Hollywood von seinem Schreiben gut hat leben können, aber dabei recht ausgenommen wurde. Er soll sich dann am Ende buchstäblich selbst ausgehungert haben.

Sunday, October 21, 2012

58. Ulf Erdmann Ziegler - Nichts Weisses

Interessanter Roman, weil hier eine Profession in den Mittelpunkt gerückt: Eine Typografin auf der Suche nach der perfekten Schrift. Dazu ihr kreatives Umfeld, die Eltern aus der Werbebranche etc.

57. Jenny Erpenbeck - Aller Tage Abend

Epochenpanorama verspielter Machart: Ein junges katholisch-jüdisches Paar in Galizien verliert die einzige Tochter. Der Mann verlässt sie, sie bleibt allein, prostituiert sich etc. Dann ein Intermezzo: Was wäre, wenn das Kind gerettet worden wäre. Wie anders wäre alles gekommen? Das Paar geht nach Wien, Weltkrieg, Inflation, Liebeskummer, das Mädchen, jetzt junge Frau bringt sich um. Aber was wäre, wenn alles anders gekommen wäre... Und so weiter über vier Generationen bis in die Gegenwart. Guter Roman, von klassischer Klarheit.

Monday, October 15, 2012

56. Der Russe ist einer, der Birken liebt - Olga Grjasnowa

Sehr guter Roman über eine junge, Frau in Berlin, die aus einer jüdischen Familie aus Aserbaidschan stammt und sich nach dem plötzlichen Tod ihres Freundes auf die Suche nach ihren Wurzeln macht, dabei aber völlig orientierungslos bleibt. Gelungen, der Ton und wie die Grjasnowa den Stoff beherzt anpackt und durchzieht und in jedem Kapitel mit Überraschungen und kleine Schönheiten aufwartet.

Wednesday, October 10, 2012

55. Henryk Sienkiewicz - Quo Vadis?

Fetziges, rasantes Stück katholischer Propaganda. Sehr unterhaltsam.

Friday, October 05, 2012

54. Heinrich Sudermann - Der Katzensteg

Teils kraftmeierischer, teils pathetischer Roman einer tabuisierten Liebe im Ostpreußischem zur Zeit der Befreiungskriege. Trotz Patina sehr packend.

Wednesday, September 19, 2012

53. Nina Bußmann - Große Ferien

Lehrer hängt seinen Beruf an den Nagel. Irgendwas scheint vorgefallen mit einem frühreifen Schüler. Jetzt jätet der Mann Unkraut und reflektiert über seine Laufbahn, seine Eltern, seinen Bruder, sein verpasstes Leben allgemein.

Erinnert vom Duktus an Thomas Bernhard. Sehr schön durchgehalten die Perspektive. Anrührend. Streckenweise bewusst unbequem.



52. Orringer, Julie - Die unsichtbare Brücke


Der junge Andras Levi besteigt den Zug nach Paris, will Architekt werden - und verliebt sich die neun Jahre ältere Claire Morgenstern, eine Ballettlehrerin die ein Geheimnis aus der Vergangenheit mit sich trägt. Es ist der Beginn einer großen, immer wieder Prüfungen unterworfenen Liebe. Auch Tibor und Matyas, Andras' Brüder, versuchen in dieser bedrohten Zeit ihr Glück zu finden. Als der Krieg die Brüder Levi in Budapest zusammenführt, ist das keine Heimkehr, sondern der Beginn einer Odyssee mit ungewissem Ende: Ein Kampf ums Überleben beginnt - gegen Hunger, Verfolgung und einen Schatten aus Claires früherem Leben, der trotz aller Bemühungen unüberwindbar zu sein scheint.

Breitwandliteratur. Bewegend. Manchmal anschmachtend. 

Wednesday, September 12, 2012

51. Die Flüsse von London

Schmarrn, der hin und wieder lachen lässt.

50. William Trevor - Turgeniews Schatten

Schönes, völlig unaufgeregtes Buch über einige normale Menschen auf dem irischen Land: Sie entscheidet sich für den Falschen, die Hochzeitsnacht floppt, seine bösen Schwestern reden sie in den Wahnsinn. Der, den sie eigentlich hätte nehmen sollen, bringt ihr noch schnell bei, wie schön alles hätte werden können, ehe er stirbt.

Solche Bücher sucht man in Deutschland vergebens.

Monday, August 20, 2012

49. Der Übergang - Justin Cronin

Endzeitepos, Mischung aus The Stand und True Blood: Militär will mit Supervirus Super Fighter züchten. Experiment missglückt, die 12 Versuchspersonen führen fortan ein Dasein als Super Vampire und entvölkern die Welt. Nur Amy, ebenfalls Teilnehmerin des Experiments, kann sie aufhalten. Ihr zur Seite steht ein A-Team aus Überlebenden...

Sehr biblisch alles natürlich, Amy oder Peter teilen sich die Jesus-Rolle.

Packend, dicht, elementar.

Monday, August 13, 2012

48. Gerbrand Bakker - Der Umweg


Aus der Zusammenfassung bei Suhrkamp:

An klaren Tagen kann man in der Ferne das Meer sehen, und auf den verwunschenen Wegen rings um das alte walisische Farmhaus ist lange niemand mehr gewandert. Es ist ein schöner Flecken Erde, den Agnes sich als Versteck ausgesucht hat. Die Gedanken an das, was sie von Amsterdam vertrieben hat – ihr ahnungsloser Mann, der junge Student, vor allem aber die verstörende Angst vor dem Kommenden –, lassen sich so leichter im Zaum halten. Nur manchmal wird ihr alles zuviel: daß der Fuchs sich eine Gans nach der andern holt oder daß der grobe Nachbarsfarmer schon morgens um neun in Socken vor ihr sitzt.
Da nistet sich eines Tages der junge Bradwen bei ihr ein. Ähnlich wie Agnes gibt er kaum etwas über seine Vergangenheit preis. Und Agnes, die nicht mit dem Rauchen aufhört, weil sie sich dafür zu krank fühlt, stellt fest: Vorsicht und Zurückhaltung sind nur etwas für die Gesunden.
Ein sehr schönes Buch, das ganz auf Atmosphäre setzt. Was braucht es dazu? Landschaft, ein Gedicht und eine Krankheit zum Tode. 


Wednesday, August 01, 2012

47. Wohin denn mit mir - Sigrid Damm

Sehr schönes Italienbuch. Die Damm hat eine ganz eigene Stimme. Die Mischung aus literarischem Essay - Die Bachmann, Che Guevara und immer wieder Goethe -, Autobiografie und Reisebilder immer anregend.

46. Die Serapionsbrüder - Hörspiel

Hoffmann. Immer irgendwie ergreifend, auch wenn vieles an dem pousierlichem Märchengedöns nervt.

45. Das Lied von Eis und Feuer - Teil 3

Souverän gut.

Thursday, July 19, 2012

44. W G Seebald - Austerlitz

Das 90-Min-Hörspiel. Seltsame Idee.

43. Das Haus - Andreas Maier

Buch über das Haus der Kindheit. Interessante Idee, aber letztendlich nicht genug Substanz. Nur selten beginnt der Text zu schwingen.

Friday, July 13, 2012

42. Die Lügen des Vaters - John Burnside

Wie alles von Burnside extrem lesenswert: Authentische Geschichte über eine Vater-Sohn-Hassliebe. Alkoholismus, Drogen, Gewalt. Angst vor dem Tod und Lügen in ein anderes Leben. Erschütternd.

Monday, July 09, 2012

41. Sibylle Lewitscharoff - Blumenberg

Buch über den Philosophen Blumenberg, dem eines Tages ein Löwe erscheint, um ihm metaphysischen Trost zu spenden.

Monday, July 02, 2012

40. Alles umsonst - Walter Kempowski

Was für ein Erzähler, welche Fülle an Details, wie ausgewogen das alles.

Für einen Kempowski eine Bibliothek Grass.

Saturday, June 30, 2012

39. Was davor geschah - Martin Mosebach

Sehr schöner Roman über eine Handvoll Menschen, die ihre Geschicke nicht im Griff haben. Alles wie bei Doderer.

Saturday, June 23, 2012

38. Das Lied des Achilles - Madeline Miller

Historischer Queer-Roman. Achilles und Patroklos, das Liebespaar. Kennenlernen, glückliche Adoleszenz. Dann das bekannte Geschehen vor Troja, alles atemberaubend schön.

Monday, June 18, 2012

37. Tage der Toten - Don Winslow

Elegisches Werk über drei Jahrzehnte Drogenkrieg. Definitiv was für HBO. Hauptsächlich auf einer langen Zugfahrt nach Göttingen und zurück.

Sunday, June 10, 2012

36. Jennifer Egan - News from the Goon Squod

Sehr gutes Buch, Storyreigen über mehrere Jahrzehnte mit vielen Personen und formalen Experimenten. Erstaunlich.

35. T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Mal wieder ein Boyle. Wie immer sehr sozialkritisch. Diesmal Artenschutz etc. Mäßig interessant.

Tuesday, April 17, 2012

30. Michael Buselmeier - Wunsiedel

Ein kurzes Buch, das einem sehr lang vorkommt.
Schoppe, ein alternder Schriftsteller, stattet Wunsiedel einen Erinnerungsbesuch ab, wo er vor über 40 Jahren als Jungschauspieler für die Festspiele engagiert war. Erinnerungen an Theater, damalige Freundin, Mutter, Jean Paul etc.
Eigentlich hat Buselmeier nicht viel zu all diesen Themen zu sagen. Mit Mühe wurde da ein Text so aufgeblasen, dass man gerade noch so das Etikett Roman draufkleben konnte.
Manchmal versucht sich der Autor in Bernhardscher Suada, was hier aber, weil so ohne Ironie, eher ein übles Licht auf den Helden wirft.
Ein unsympathische Typ, dieser Schoppe, es wundert einen nicht, dass ihn keiner leiden kann und von der Freundin verlassen wird.

Monday, April 16, 2012

29. Fred Vargas - Die Nacht des Zorns

Fred Vargas eben. Solide, klare, bekömmliche Krimikunst mit lauter Figuren, die natürlich viel zu gut, böse oder originell sind, um sie in der wirklichen Welt anzutreffen.

Nur leider wieder der alte Krimimechanismus, nachdem der Täter wider mal so überraschend ist, dass er überhaupt nicht überraschend ist, weil er von Anfang an der beste Überraschungskandidat ist. Aber gerade bei Vargas ist das egal. Weil einem eh fast egal ist, wer der Täter ist.

Friday, April 13, 2012

28. Madame Hemingway - Paula McLain

Sehr schöner Biografieroman über die Pariser Hemingways, über die man ja eigentlich alles zu wissen glaubt. Aber man hängt trotzdem oder vielleicht gerade deswegen an den Lippen der Erzählerin. Eindrucksvolles Frauenportrait in der tollsten Zeit ever.

Tuesday, April 03, 2012

27. Geister - John Banville

Rätselhaftes Buch mit Schönheiten. Gleicht einer Versuchsanordnung. Die poetische Belebung eines Gemäldes, das nicht existiert, allenfalls existieren könnte. Verwoben mit dem Fragment des Lebenslaufs eines Mörders.
Aber doch wenig Lust, dem Enigmatischen genauer nachzuspüren.

Saturday, March 24, 2012

26. Mittelreich - Josef Bierbichler

Roman im Stile einer Heimatchronik. Drei Generationen Seewirtschaft am Ammersee. Viele Seppels und Franzls und Maries.

Kräftig, aber doch mit einigen Schwächen: Anachronismen, Umständlichkeiten, Bemühtheiten.

Eigentümlich quälende Lektüre.

Friday, March 16, 2012

25. Judith Schalansky - Der Hals der Giraffe

Sehr gute Geschichte über eine Biologie-Lehrerin und Geschichtsdarwinistin an einem eingehenden Gymnasium irgendwo im tiefen Osten der Republik.
Eigentümlich anrührend zu erleben, wie die Heldin mit ihren Anschauungen (Recht des Stärkeren, nur die Starken überleben) scheitert, ohne so recht zu begreifen, warum. Judith Schalansky hat sich dafür die Sprache der Naturwissenschaft ganz für den inneren Monolog nutzbar gemacht. Gelungen das, weil auch sehr rhythmisch und an Koeppen erinnernd.
Nur halb gelungen ist die Zeichnung der Lehrerkollegen - der unverbesserliche Leninist, der phrasendreschende neue Direktor aus dem Westen, die verweichlichte Kollegin, die sich mit den Schülern duzt. Zwar plastisch, aber manchmal durch das Überzogene die dichte Fiktion störend. So zum Beispiel die Rede des Direktors oder das Ausweinen der Kollegin an der Schulter der harten Heldin.
Sehr gekonnt der Schluss, das plötzliche Infragestellen des gesamten Weltbildes. Wie eine brechende Fensterscheibe.

Monday, March 12, 2012

24. Christian Kracht - Imperium

Stilistisches Bravourstück, das mich aber kalt gelassen hat.

23. David Vann - Im Schatten des Vaters

Ziemlich düstere, teils überraschende Selbstmordgeschichte.

Existentialistisch ausweglos wie Die Straße oder Die Wand.

Thursday, March 08, 2012

22. Gegen die Welt - Ian Brandt

Sehr dickes Buch, Coming of Age in der norddeutschen Provinz in den 80ern.
Streckenweise doch recht lang.
Avantgardistischer Einbezug des Druckbilds in die Darstellung. Halbherzig.
Erwartungen nicht ganz erfüllt.

21. Das Attentat - Stephen King

Der nächste Tausendseiter des Meisters. Ähnlich erfreulich wie die Arena. Jetzt lässt er die langweiligen Monster und Geister beiseite und widmet sich den großen Themen, die ja an sich schon genug Horror bergen.

Eigenartiges Phänomen festgestellt: Seine Sprache hinkt der Handlung eigenartigerweise häufig etwas hinterher. Eigentümlich schwerfällig bewegen sich die Figuren durch die Kulissen. Vielleicht weil doch zu viel erzählt wird.

Egal, es ist immer wieder gut. Und wird besser. Mal schauen, was als nächstes kommt.

Sunday, February 26, 2012

20. Heinrich von Kleist - Michael Kohlhaas

Starke Novelle. Der Kleist-Stil höchst interessant. Das überschnelle zum Punkt kommen, die Synthax dabei (über)spannend wie einen Bogen. Dabei sehr szenisch u. bildhaft.

Saturday, February 18, 2012

19. Erika Mann - Das letzte Jahr

Thomas Manns letztes Jahr aus Sicht seiner töchterlichen Privatsekretärin. Noch mal prall gefüllt mit Ehrungen, Werken, Reden etc. Dann Thrombose und schnelles Ableben. Natürlich alles sehr Zauberberg-mäßig verbrämt.

Friday, February 17, 2012

18. Clemens J. Setz - Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes

Nachdem ich die erste Geschichte fast nicht heruntergebracht hätte das Buch in 2 Tagen verschlungen. Alles sehr dramatische Geschichten, im Grunde kleine Kammer- und Kabinettstückchen. Manchmal lachen müssen. Im Grunde ein großer Schabernack.

Wednesday, February 15, 2012

17. Hiobs Brüder - Rebecca Gable

Tolle Story, nach langsamen Anlauf in vier Tagen durchgeritten. Alles sehr feinsinnig. Beste Ritterunterhaltung.

Saturday, February 11, 2012

16. Das Mädchen - Angelika Klüssendorf

Sehr fesselndes, verstörendes Buch. Sozialdrama im Sozialismus, was es ja nicht geben sollte. Eine Art Anton Reiser der DDR der 60er Jahre, also ein negativer Entwicklungsroman, in dem die Heldin von einem Kreis der Hölle in den nächsten kommt.

Unglaublich viel Gewalt und Elend. Erschütterung über das im übelsten Sinne verschlagene (im Sinne von zerschlagen) kindlich-poetische Gemüt.

15. The Sense of an Ending - Julian Barnes

Das hochgelobte Booker-Preis-Buch von Julian Barnes also.

Das Konzept des Romans besteht darin, dass der Held Toni Webster im Alter darauf gestoßen wird, mitverantwortlich für den Selbstmord eines Freundes in der Jugend gewesen zu sein.

Natürlich lädt das Konzept zu vielen altersweisen Reflexionen über den Fluss der Zeit und den Trug der Erinnerung ein. Manchmal etwas zu viel. Aber hätte man das gekürzt, dann wäre schwerlich ein Roman übrig geblieben.

Trotzdem angerührt über das Motiv des Wendepunkts am Ende des Lebens.

Tuesday, February 07, 2012

14. Der Fliegenpalast - Walter Kappacher

Stilles Buch über die Empfindlichkeiten der Inspiration. Immer hofft Hoffmannsthal auf die richtige Arbeitsstimmung, doch überall greift er ins Leere, wie es in der FAZ-Rezension heißt.

Klar, das Handke das gefällt.

Saturday, February 04, 2012

13. Ein Hungerkünstler - Franz Kafka


Neben Ein Hungerkünstler auch Erstes Leid, Eine kleine Frau und Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse. Die kleine Frau fällt dabei etwas ab.

Der Schluss von Josefine:
Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren, Josefine aber, erlöst von der irdischen Plage, die aber ihrer Meinung nach Auserwählten bereitet ist, wird fröhlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Helden unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte treiben, in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle ihre Brüder.
Auffällig in den Erzählungen die oft farblose und ungelenke Verwaltungssprache. Eigentlich wenig bildhaft, eine Art Grau-in-Grau-Textur. Das ist aber nur die Folie, der Hintergrund, vor dem plötzliche Bewegungen, krasse Bilder nur um so stärker hervortreten.

Friday, February 03, 2012

12. Du stirbst nicht - Kathrin Schmidt

Starkes Konzept: 42-jährige Autorin kommt nach Schlaganfall in der Klinik zu sich. Muss sich nach und nach ihr Leben wieder zusammensetzen. Vieles weiß sie nicht mehr, muss ihre Sprache neu lernen. Auch die Gefühle sind auf Null zurückgesetzt.

Liebt sie ihren Mann? Wollte sie sich wegen einer Affäre mit einer Transsexuellen trennen? Hatten sie sich schon getrennt? Nach und nach lösen sich die Gleichungen.

Der Schluss sehr stark: Wie Helene über das Schreiben wieder zu sich selbst findet, sich ihrer selbst wieder vergewissert. Das sind so Sätze aus dem Germanistik-Seminar. Hier aber sehr, sehr konkret.

Gänsehautschluss, buchstäblich in den letzten Sätzen.

11. Schreiben dicht am Leben - Hanns-Josef Ortheil

Nette Studie über eine literarisch-kreative Leidenschaft, die sich mehr und mehr auszubreiten scheint. Idee: bewusster Leben durch fortwährendes Sammeln und Filtern der Außen- und Innenreize.

Schöne Lektüretipps auch. Der Übungsteil etwas überflüssig, oder? Obwohl.

Saturday, January 28, 2012

10. Betrachtung - Franz Kafka


"Ich würde ganz gern - warum denn nicht - einen Ausflug mit einer Gesellschaft von lauter Niemand machen."
Kafkas dunkelschöne, verrätselte Kammerstückchen.

Eine Schnur mit lauter Perlen:

Kinder auf der Landstraße
Entlarvung eines Bauernfängers
Der plötzliche Spaziergang
Entschlüsse
Der Ausflug ins Gebirge
Das Unglück des Junggesellen
Der Kaufmann
Zerstreutes Hinausschaun
Der Nachhauseweg
Die Vorüberlaufenden
Der Fahrgast
Kleider
Die Abweisung
Zum Nachdenken für Herrenreiter
Das Gassenfenster
Wunsch, Indianer zu werden
Die Bäume
Unglücklichsein

Teilweise sehr cineastisch. Alltagsszenen. Gespräche, zu denen der Leser häufig keinen Schlüssel hat. Unversehens öffnen sich Türen, kommen Gespenster ins Zimmer, eröffnen Aufzüge eine göttliche Totale auf das Treiben der Welt.

Unglaubliche Stücke eigentlich.

Verfügbare Bilder von Herz/Seele/Geist u.a.

Er hat ein Herz, wie ein Schiffsmotor.
Er hat eine Seele, wie ein Rübenacker.

Er hat das Herz eines nassen Aschenbechers.
Ein Kopf, wie ein Trampolin.

Gemüt eines Hinterhofantiquariats.
Er ist ein Schnauzbart von einer Seele.

"Sie hat a Goschen wie eine Frisörschere."
Das Herz einer zahmen Bärin.

Friday, January 27, 2012

9. Die Herrlichkeit des Lebens - Michael Kumpfmüller

Lovestory Franz Kafkas und Dora Diamants. Kennenlernen am Strand in Müritz, gemeinsame Wohnungen in Berlin. Glück. Krankheit. Sanatorien. Langsames Sterben in Wien.

Kein leichtes Thema, von Michael Kumpfmüller sehr schön umgesetzt. Ein Buch über die Liebe, wie man es heute selten liest. (Gar nicht mehr).

Die Sprache ganz reduziert. Das sanfte Changieren der Perspektiven, das Kammerspielhafte. Immer sind es ja nur zwei, drei Menschen in einem engen Zimmer.

Herrlichkeit des Lebens. Wie schön es ist, sich vorzustellen, es sei so gewesen.

Tuesday, January 24, 2012

8. Ruhm - Daniel Kehlmann

Roman in neun Geschichten. Gleiches Konzept wie bei Krausser. Winesburg, Ohio eben.

Kehlmann ungleich eleganter und souveräner. Auch der sprichwörtliche doppelte Boden filigraner gestaltet.

Einer der ersten Erzähler hierzulande wohl.

Friday, January 20, 2012

7. Einsamkeit und Sex und Mitleid - Helmut Krausser

Habe einige Jahre einen Bogen um Krausser-Bücher gemacht. Manierismen, Geprotze und Comic-Sprache schwer erträglich.

Dieses jetzt wegen Interesse am Short-Cuts-Prinzip vorgenommen.

Das muss man ihm lassen: Seine Personen-Namen, seine Sprache, seine Klischees mögen unendlich nervend sein. Aber mit seinen Erfindungen versteht er es, einen hineinzuziehen. Und das wiegt vieles auf.

Dennoch: immer das Gefühl großer Künstlichkeit wie bei allen seiner fiktionalen Werke.

Thanatos ausgenommen.

6. Meine Gespräche mit Schriftstellern 1974-1977 - Heinz Ludwig Arnold

Vieles vom Lesen schon bekannt, aber trotzdem sehr anregend. Schön das Ungeschnittene, Rohe: Grass und Frisch zünden sich fortlaufend Pfeifen an, Dürrenmatts Zunge wird deutlich schwerer, je länger das Gespräch dauert, Flugzeuge starten etc.

Unterhaltsamer als mancher Roman. Dabei eigentlich selten besonderer Tiefgang des Gesprächs. Viel Politik und "Engagement", was an der Zeit liegt.

Einiges neu zu entdecken. Dürrenmatts Richter & Henker wieder hervorgeholt.

Wednesday, January 18, 2012

5. Der Richter und sein Henker - Friedrich Dürrenmatt

Einer Anregung der Arnoldschen Schriftstellergespräche folgend. Glaube, das Buch schon mal gelesen zu haben. Aber vielleicht war es auch ein anderer Dürrenmatt-Krimi.

Zwei großartige Szenen: Die Beerdigung mit dem Regen, der alles verstummen lässt. Und der lange Weg des Henkers durch die Landschaft zur Exekution.

Manchmal etwas getragen, manchmal ist parabelhafte chargierend.

Tuesday, January 17, 2012

4. Sunset - Klaus Modick

Kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal einen so dichten, ergreifenden, poetischen Roman gelesen habe. Vielleicht bei Updike?

Sunset - das ist eine Art imaginierter Schwanengesang des Lion Feuchtwanger. Modick schildert den Tag im Leben des alternden Romanciers, an dem ihn die Nachricht vom Tode Brechts ereilt, seinem vielleicht einzigen wahren Freund. Erzählt werden die Reflexionen und Erinnerungen, die das in Feuchtwanger auslöst.

Und so entfaltet sich auf den knapp 200 Seiten ein alterweises Tableu von ungewöhnlicher, ja beglückender thematischer Weite:

Exil, Politik, die Exilgesellschaft in Kalifornien
Schreiben/Literatur als Lebensform
Freundschaft
Religion
Überlebensstrategien
uvm

Dabei entsteht ein Porträt Feuchtwangers, das den Leser durch seine Liebenswürdigkeit völlig für den kleinen, bescheidenen, ungeschickten Mann einnimmt.

Monday, January 16, 2012

3. Art Direction

Halbinspirierender Titel über den Job des Art Directors. Sachbuch aus der Stadtbücherei. Weckt jedenfalls die Augenlust!

Thursday, January 12, 2012

2. Charles Dickens: der Unnachahmliche. Von Hans-Dieter Gelfert

Zur Einstimmung ins Dickens-Jahr.

Brauchbarer Überblick, viele Jahreszahlen, viele Honoraraufrechnungen. Spoiler und Interpretationen zu jedem Hauptwerk, viele Illustrationen sowie eine kleine Theorie zu Dickens' Ästhetik: Es gibt drei zentrale Motive, Erbschaften, die See und das Gefängnis. Die Erbschaften stehen für die Fremdsteuerung der Charaktere, das Meer für die haltlosen, noch ungefestigten Personen; in Gefängnissen, echten und metaphorischen, stecken emotional verhärtete Typen. Dazwischen gibt es tugendhafte und blasse Mittler, die die Veränderungen herbeiführen.

Einiges enttäuscht:
  • Im Vorwort verspricht man Aufklärung darüber, warum Dickens ein Kafka-Vorgänger sei. Davon ist aber kaum die Rede.
  • Viel über Honorare ohne dass man erfährt, was das Geld damals ungefähr wert war.
  • Preisungen von Dickens Sprachkunst - keine Beweise dafür. Hätte der Leser auch auf Englisch gerne genommen.
  • Von einem deutschen Biografen hätte man sich mehr zur Dickens-Rezeption hierzulande gewünscht.

Eine kleine Rowohlt-Biografie hätte den selben Zweck erfüllt. 29,90 Euro für ein gerade 300-Seiten-Buch ohne nennenswerten Serviceanteil ist jedenfalls zu viel.

Tuesday, January 10, 2012

1. Too Much Happiness - Alice Munro

Zugegeben, Überhang aus dem Vorjahr.

Lauter gute Stories. Und es stimmt, was die Kritik immer über Munro schreibt: Es sind lauter kleine Romanskizzen. Also keine klassischen Kurzgeschichten, die nur einen knappen Lebensausschnitt beleuchten. Es geht in kühnen, meist ein Leben umfassenden Sprüngen dahin.

Nur die letzte Geschichte über diese Mathematikerin habe ich mir dann verkniffen. Da ist dieses Munro-Feeling nicht recht aufgekommen.