Monday, June 27, 2011

Der See - Gerhard Roth

Ein Pharmavertreter folgt einer Einladung seines Vaters für eine Angelpartie auf dem Neustädter See. Sie haben sich seit einem Menschenleben nicht mehr gesehen. Als er ankommt, ist der Vater verschwunden. Leichenteile treiben ans Ufer, Eck wird verdächtigt.

Alles ganz im Kahlschlag-Existenzialismus-Stil. Atmosphäre kaum erträglich. Alles spröde und gedankenleer. Will wohl ein Krimi sein. Plot dafür sehr dürr. Charaktere auch langweilig. Was soll das eigentlich? Mag diese Art reduzierter Literatur gar nicht mehr lesen.

Thursday, June 02, 2011

Reality Hunger - David Shields

1

Shields Gedanke: Wir wollen heute nur noch wirklichkeitsbasierte Literatur lesen. Damit meint er eine Mischform aus fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten. Der Plot ist Nebensache, ja, er stört eigentlich das, wonach wir wirklich hungern: authentisches Material. Es geht also weniger um die Beschwörung einer Illusion (Flughafen-Bücher), sondern um Erkenntnis und kitzliges Wiedererkennen des Eigenen im Fremden.

So ist auch das Buch selbst gestrickt: Über 500 kurze Absätze mit Reflexionen, Listen, Sprüchen, erzählerischen Einschüben.

Und eigentlich unterscheidet sich der Haupttext kaum vom Quellen-Anhang, der sich liest, wie ein Abschnitt-Original-Shield:

Roland Barthes, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche, Goethe, J.M. Coetzee, Alain Robbe-Grillet, Herman Melville, Picasso, Jonathan Lethem, Cicero, Hemingway, Bob Dylan, Dave Eggers, Vladimir Nabokov, T.S. Eliot, W.G. Sebald, Ralph Waldo Emerson, Nicolson Baker, Charlie Parker, Theodor W. Adorno, Sören Kierkegaard, John Keats, Michel Montaigne, Michel Leiris, Sonny Rollins, Jorge Luis Borges…

2

Warum habe ich so schnell zugeschlagen und mir das Buch gleich am Abend gekauft? Weil ich da wohl eine Bestätigung gesehen habe. Ja, es stimmt, wenn ein Roman so richtig overtürenhaft anhebt, kann es sein, dass sich mit Sterbensmüdigkeit reagiere.

3

Angetan von der "Lesbarkeit" des Formats. Kurze durchnummerierte Abschnitte. Nur die verhältnismäßige Kürze scheint überhaupt noch lesbar. Ein Grauen vor den Textblöcken, in denen man ersäuft. Aber auch Resepekt. Sie spiegeln einem Unendliches vor. Und im Unendlichen erwarten wir Tiefe. Und in der Tiefe "wahre" Erkenntnis.

4

Ich betrachte jede Kunst als im Wesentlichen dokumentarisch. Alles ist immer schon erfunden; wir artikulieren, arrangieren lediglich. (201)

So auch der Doktor Faustus. Obwohl deutlich die fiktionale Formung allgegenwärtig. Maskenhaft? Am Rande des Funktionierens jedenfalls.

5

Vom Nutzer generierter Inhalt ist die neue Volkskunst.

6

Plots sind was für Tote. Technologien wie IBMs Watson machen deutlich, dass man so etwas in vielleicht nicht all zu ferner Zukunft auch maschinell herstellen kann. Prinzipiell tut man das ja schon. Story-Engineering lautet der Titel eines entsprechenden "Manuals" zur Herstellung von Geschichten.

7

Konnte das Buch nicht weglegen. Nach der Lektüre habe ich von vorne angefangen. Warum? Weil ich das Gefühl habe, dass da noch mehr Substanz ist, die ich noch nicht ausgeschöpft habe. Und für die es sich lohnt noch mal zurückzukommen.

8

Ist es richtig, der Gebrauchsanweisung des Buches zu folgen und den Anhang mit den Literaturangaben abzuschneiden? Warum eigentlich? Warum soll man nicht wissen, von wem es kommt? Die Literatur im Netz verweist doch auch mit Hyperlinks auf die Quellen der Gedanken. Es geht dabei weniger um Urheberrechte etc. pp. Sondern um die Möglichkeit, das gedankliche Netzwerk weiterknüpfen zu können. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, das zu lesen.

Ein geschickter Schachzug wäre es gewesen, die komplette Liste unkommentiert, als Fließtext als letztes Kapitel in den Gesamtkorpus aufzunehmen.

9

Ein recht sympathisches Porträt, wie ich finde. Täusche ich mich oder gibt es eine winzige Ähnlichkeit zu Handke im Sprachduktus? Oder liegt das an den Überbleibseln des kindlichen Stotterns?


10

Hörte von dem Buch zum ersten Mal in einer Diwan-Besprechung. Das war auf einer kleinen, sommerlichen Radtour zum Geburtstag meines Schwagers. Ich dachte noch unterwegs: Das will ich lesen. Hier wird vielleicht ein Weg aufgezeigt, auf den auch ich gerne weiter wandern würde. Die Sterbenslangeweile, die mich manchmal beim Lesen der ersten Sätze neuer Romane ergreift, die Bemühtheit, die Durchschaubarkeit, das Verschwinden von Spaß, Spiel und Reizen aus manchen Büchern - für all diese Erfahrungen schien hier eine Erklärung. Als ich wieder zuhause war, habe ich sofort meinen Rechner angeworfen und geschaut, ob es als eBook verfügbar war. Und das war der Fall. Also geladen und schon konnte es losgehen. Ein Hoch auf das E-Reading.




Wilhelm Meister - J.W.Goethe

Im vierten oder fünften Anlauf endlich. Als eBook. Nietzsche sagt etwas in der Richtung, dass sich hier Bestes mit Lächerlichem grandios vermischt. Tatsächlich wirkt Meister unglaublich naiv und ungeschickt, manchmal geradezu plump gezeichnet.

Es gibt einige sehr schöne Ezählpassagen, etwa wenn Meister anfangs vor der Wohnung seiner Mariane herumschmachtet, während sich drinnen Liebhaber Nummer 1 zu schaffen macht. Da wechselt mit Gesprächen, in dem es viel Gescheites aber auch sehr viel Langweiliges zu hören gibt. Einiges ist auch genuin skuril: Mignon und Harfner wirkten manchmal geradezu kafkaesk.

W.M. als Erzähl-"Werk": Flotte Handlungsmotive wechseln mit Essays (in Gesprächen), wobei letztere etwa die Hälfte oder etwas mehr ausmachen. Es gibt eingesprengte Episoden anderer, insgesamt alles hybridisch-modern.

Und dann wieder altbacken und pseudoromantisch. Das ganze Sterben, Versöhnen und Zusammenkommen am Schluss ist Krampf.


Ein Sommer, der bleibt - Peter Kurzeck

Literatur als mündliche Überlieferung. Dieses Buch ist eine echte Sensation. Da ist tatsächlich einer, der ganz ursprünglich erzählen kann. Er sitzt da und erzählt seine Kindheit und alles ist in so reichen Farben, so voller berückender Details - die Holzpferde, nachts auf dem Fenstersims, die Spuren auf dem Teufelsstein, die voll Wasser laufen, das Brausepulver, das in die Linien der Handfläche rinnt -, dass man im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert ist.

Er spricht den Text mit ganz minimalen Abweichungen wie gedruckt. Dennoch ist der Unterschied zu einer echten Lesung beträchtlich: viel unangestrengter für beide, Leser wie Sprecher.