Monday, October 24, 2005

Eismond

Jan Costin Wagner, eine Entdeckung aufgrund eines Spiegelartikels. War von der ersten Seite an im Sog dieser gleichsam elegischen Prosa. Teilweise nähert sich der Duktus tatsächlich der Musik an, einer sehr düsteren, sehr schönen mit Abgründen des Nihilismus links und rechts der Melodie.
Obwohl stilistisch weit davon entfernt, erinnert die Anlage des ganzen an Dostojewski. Nur dass hier der größere Stilist zu sitzen scheint. Und dabei ist das Thema so ernst und groß, dass das eigentlich ohne Sentimentalität gar nicht abgehen kann. Tut es aber.
Zwei andere Bücher gibt es noch von ihm. Die werd ich mir holen.

Friday, October 21, 2005

Safranskis Schiller

Schiller. Noch ein Mal?
Es gibt Bücher, die einem relativ schnell das Gefühl vermitteln, dass sie einem etwas Wichtiges, Bahnbrechendes zu sagen haben (das ist natürlich eine Platitude, aber trotzdem wahr.) Diese Bücher liest man voller Andacht, man zügelt das Tempo, damit sich nichts unreflektiert verflüchtigt zwischen den Zeilen – was dann natürlich trotzdem geschieht, da mag man die Sätze unterstreichen oder abschreiben oder auswendig lernen, genau genommen lebt die Erkenntnis nur immer einen kurzen, aufwühlenden Augenblick und schon wird es wieder dunkel. Ähnlich geht es Hans Castorp nach seinem Schneeerkenntnistraum, der gleichsam seine gesamte Existenz aufhellte – und am nächsten Tag so gut wie vergessen war.
Mancher mag da fragen, warum dann die ganze Veranstaltung? Weil diese Augenblicke – wie eine Droge – nach mehr verlangen.
Schiller zählt zu meinen Initiatoren. Die Räuber und Don Carlos kamen parallel zu Karl May und Stephen King. Dann trat er mehr und mehr hinter andere, Thomas Mann, Goethe, Shakespeare. Eigentlich hielt ich ihn für abgetan (man ist ja manchmal froh, etwas abtun zu können, der literarische Reichtum ist ja schwer er-träglich).
Das Buch fand ich in der Ramschkiste beim Hugendubel – war wohl das Ansichtsexemplar. Ich begann mit der Lektüre, unterbrach sie aber am Anfang, nahm sie nach zwei, drei anderen Büchern wieder auf, und las das Buch in einer guten Woche ganz durch.
Es hat etwas geschafft, wofür ich dem Autor und seinem Buch (irgendwie beiden, zu manchen Büchern hat man ja so ein persönliches Verhältnis) dankbar bin. Es hat mir Schiller nicht nur wieder ans Herz gelegt, es hat mich viel mehr bekannt gemacht mit einem der faszinierendsten Menschen, die ich je getroffen habe.
Was war das für ein Mensch! Diese unerschütterliche Zuversicht trotz der Widerstände, trotz der Krankheit, diese Vielseitigkeit des schöpferischen Willens, dieses glückhafte Talent des Gelingens. Einen solchen Freund zu haben – was für eine gewaltige Inspiration das wäre!
Safranski gelingt es hervorragend, den Leser anzustecken mit seiner Denk-Lust, seiner Bewunderung, seiner Liebe.
Schiller? Immer.

Wednesday, October 12, 2005

Amanda herzlos

Ich war auf einer Lesung in Augsburg, Becker mit Amanda herzlos. Der Saal war zu groß, das Augsburger-Bildungsbürgertum spärlich vertreten. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich langweilte, ich glaube nicht. Bei der anschließenden Fragerunde gab es keinen weiteren Diskussionsbedarf. Danach ließ ich mir Jakob der Lügner signieren.
Ich musste Amanda herzlos nicht unbedingt lesen.

Dann starb Becker. Vorher gab er noch ein Interview im Spiegel. Das Bild von ihm erschütterte den sporadischen Becker-Leser.

Er galt als einer der "amerikanischsten" Autoren. Das bedeutete: locker, lebendig, lesbar.

Vor einiger Zeit auf einem Bücherbasar erstand ich dann Amanda herzlos in einer frauenfreundlichen Sonderedition des Suhrkamp-Verlags. Kostete 50 Cent. Kaufte es, stellte es ins Regal.

Einige Zeit später berief sich der Literatur-Chef der Süddeutschen überraschend auf den Roman, als er in einer Beilage noch mal den U-/E-Diskurs reflektierte. Er meinte, glaube ich, dass man Becker damals für zu unterhaltend fand, dass Niveau seitdem aber auf einem ganz anderen Level angelangt sei. Anlass war die Besprechung einer Biografie über Becker, die mich mehr interessierte, als ein Roman von ihm. Wahrscheinlich auch wegen des Bildes im Spiegel.

Jetzt also der Griff ins Regal, ich weiß nicht warum. Ich las den Roman in wenigen Tagen und amüsierte mich, fand ihn an manchen Stellen vielleicht etwas zu breit auserzählt. Ranicki würde sagen, 200 Seiten hätten es auch getan. Am besten gefiel mir die mittlere Episode mit dem in die Jahre kommenden Schriftsteller. Da gerät das Ganze zu einer sehr genauen, tragikomischen Studie.

Ein wenig auch Sittengeschichte der DDR, muffig, prüde.

Und natürlich das Schlussbild, wo Amanda kurz vor der Ausreise ihr Kind wiegt und ihm den Westen schön redet und dabei ein Leben aufscheinen lässt, in dem der Ich-Erzähler überhaupt keine Rolle spielt. Wäre eine starke Filmszene.

Alles in allem: gut.

Wenn auch vielleicht der letzte Becker-Roman, den ich lesen werde.

Friday, October 07, 2005

Hadrian

Das hat mich sehr gequält, obwohl ich es sehr gut finde und es herrliche Stellen darin gibt. Aber es kam zum falschen Zeitpunkt. Erstaunlich, was die Autorin alles dafür gelesen hat. Das könnte ich nicht. Ich könnte definitiv für so ein Buch nicht unzählige Lesejahre vergeuden. Ich bewundere Leute, die das können und glaube, dass sie etwas sehr wertvolles geschaffen hat. Nur, wie gesagt, der falsche Zeitpunkt.

Tod einer Queen

Magdalen Nabb. Das mochte ich. Da sieht man wieder, dass es im Krimi auf den Kommissar ankommt. Und dieser - ich habe den namen vergessen, der war das einzig blöde an ihm - ist einer der besten, die mir untergekommen sind. Nicht schlau, sondern langsam im Kopf, dick, in Uniform, schweigsam, traurig, naiv und zupackend. Das mochte ich.

Ilias

Endlich angehört. Beim Joggen. Sehr schön. Nur leider hört das ganze mit dem Begräbnis von Hektor auf. Ich meine, was ist mit Trojanischem Pferd, Achilles Verse und so? Jedenfalls sehr gut gesprochen. Richtig zum zuhören.

Athena

Banville, von ihm habe ich den Unberührbaren sehr geschätzt, obgleich ich mich bei der Lektüre vielleicht hin und wieder gelangweilt haben mag. Aber die Sprache hat es herausgerissen. Die ist auch hier sehr gut. Wobei ich nicht wirklich sagen kann, dass ich eine Ahnung hätte, um was es in der Geschichte geht. Ein entlassener Mörder und Kunstkenner erstellt Gutachten über irgendwelche Bilder in einem Haus, das bis auf eine ätherische Nymphomanin leer steht, mit der der Held dann recht heftig herummacht. Die Bilder erweisen sich als gefälscht. Was niemanden überrascht. Und den Leser gar nicht ineressiert. Bleibt nur noch die Sprache, die man bewundern kann. Ich hätte die Geschichte trotzdem gerne verstanden. Es geht einem mit den britischen Büchern übrigens oft so, dass nichts zu geschehen scheint. Man hat das Gefühl, das da etwas an einem vorbei geht und hält sich für ein wenig dumm. Die Personen tauchen an irgendwelchen Orten auf, eine Szene wird angedeutet und abgebrochen und schon ist man im nächsten Spuk.

Aber ich mochte es. Mag Banville.

Brasilien

Eines von diesen Büchern, die ich mir in einem Updike-Rausch gekauft habe und das ungelesen liegen blieb, nachdem der Rausch verflogen war. Wohl habe ich die ersten Seiten damals gelesen, ein Eselsohr auf Seite 15 erweckt den Anschein, doch vermochte das Buch nicht, seinen Funken auf mich abzugeben. Die Fabel – schwarzer Junge, weißes Mädchen, arm, reich, Voodo und Identitäts-Switch – kannte ich aus den Besprechungen, aber wegen dem Plot liest man keine Updike-Bücher. Updike-Bücher liest man wegen dem Funkeln und Glitzern, das einem aus jedem Satz in die Augen springt; wegen der geradezu beschwörerischen Plastizität der beschriebenen Landschaften, Männer, Frauen, Kinder, Katzen, Dinge, Seeleregungen; wegen der Prägnanz der Maximen über Vergänglichkeit des Daseins, die man wie barocke Goldmünzen einsammeln kann, nicht um sie auszugeben, sondern still für sich zu betrachten und in der Handfläche zu wägen...Aber wie von allem Guten kann man sich auch von zu viel Updike den Magen verderben und es geht einem wie dem Chandos mit seinem Überdruss an den vielen Sprachpilzen. Deshalb war das Buch damals, vor zehn Jahren, liegen geblieben. Ungelesen ist es mit mir gewandert, hatte auf verschiedenen Regalstellplätzen in einem halben Dutzend Wohnungen Platz genommen, hatte Staub angesammelt, seine Seiten waren gelb geworden, wie Menschen grau, das Design des Cover-Bilds hatte seinen modischen Schnitt verloren und sah nach vergangener Dekade aus. Man hat ja viele solcher Bücher. Das schlechte Gewissen, das ihre Jungfreulichkeit einem einflößt, beschwichtigt man durch Vorstellungen wie: „Das ist ein Schatz, den es noch heben gilt“; oder „Der Wein wird noch reifen“. Und häufig kommt dann tatsächlich irgendwann die Zeit, in der man es packt und man liest es mit besonderer Sorgfalt, vielleicht etwas gönnerhaft, und man ist Stolz darauf, dass man es geschafft hat, dass man die 16 Mark 90 – ja, damals gab es noch D-Marken – nicht umsonst ausgegeben hat, sondern gut angelegt, daraus drei, vier Abende erfreulicher Lektüre gewonnen hat.

Die Kritik war damals bei Erscheinen nicht erfreut. Man beanstandete die Pornografie, die ekelhaften Metaphern, den albernen Plott, das Reportagenhafte, die Holzschnittartigkeit der Figuren, die Klischeehaftigkeit der Liebesgeschichte, das Sabbernde, das Schlüpfrige, Missglückte und Missratene. Das literarische Quartett, lauter rückhaltlose Updike-Fans, verriss das Buch gnadenlos.

Ich mochte es. Aus verschiedenen Gründen:
- weil es ein Updike ist
- weil es Updikes Sprache ist
- weil es mich unterhalten hat
- weil ich einiges über Brasilien erfahren habe. So was nimmt man doch immer ganz gerne mit
- weil der Schluss sehr schön ist. Auf seine Art
- weil es mir die moralische Befriedigung verschafft hat, es doch noch gelesen zu haben
- weil ich die Idee mag, einfach ein Buch über irgendwas zu schreiben, was scheinbar oder gar nicht scheinbar keinen Bezug zu einem selbst hat
- weil ich das Format der Rororo-Taschenbüchern liebe
- weil es mal ein Buch war, in dem es nicht um ücher und Lieratur ging, sondern um Charaktere
- weil es auch ein wenig abenteuerlich zu ging
- wegen diverser sätze und Bilder, die nachschwingen, wie Musik

weil.

Ich habe übrigens noch den Zentauren im Regal. Sehr 80er Jahre gestylt, das Cover noch relativ weich, die Seiten ganz gelb, die Schrift unangenehmn klein.